Leo Berlin
Malchow steckte den Kopf heraus. »Wie lange sollen wir noch warten?«
In diesem Augenblick
durchfuhr ein Schlag Edels Körper. Er riss sich los und stürzte
auf von Malchow zu. Seine Hand schoss in die Jackentasche, und Robert sah
etwas an von Malchows Kehle aufblitzen.
»Nein!«, schrie
er. »Komm her, Leo!«
Leo stemmte sich stöhnend
vom Stuhl hoch, trat an die Tür und sah von Malchow und Edel, der ihm
ein bräunlich geflecktes Taschenmesser gegen die Kehle drückte.
Verdammt, vermutlich hatte er es die ganze Zeit bei sich gehabt.
»Ganz ruhig, Herr Edel,
lassen Sie das Messer fallen.«
»Nein. Wissen Sie
überhaupt, wer das hier ist?«
»Natürlich. Das
ist mein Kollege Kriminalsekretär Herbert von Malchow. Tätliche
Bedrohung von Polizeibeamten ist ein schweres Vergehen. Sie sollten Ihre
Lage nicht noch schlimmer machen, Herr Edel.«
»Wollen Sie sich über
mich lustig machen? Ob der Mann hier Polizist ist, interessiert mich
nicht. Er war dabei, er hat mich zu der Frau geführt, er hat sie
ausgesucht, er hat mich ausgelacht, obwohl er mich gar nicht kannte.«
Von Malchow wurde
leichenblass und sah seine Kollegen flehend an.
»Er hat sie angefeuert,
hat sie angetrieben, hat sich über meine Scham lustig gemacht.
Jahrelang habe ich ihn nicht gesehen, hatte sogar seinen Namen vergessen.
Dann habe ich ihn hier draußen auf der Straße gesehen. Und da
fiel es mir wieder ein. Der Mann hat mein Leben vernichtet, als er mich zu
dieser kranken Hure schleppte –« Das obszöne Wort brach förmlich
aus ihm heraus.
Leo setzte alles auf eine
Karte. Er schaute über Edels Schulter hinweg in den leeren Flur.
»Hier rüber!«
Edel drehte sich instinktiv
um und ließ einen Moment das Messer sinken, worauf Robert vorschoss
und von Malchow wegriss. Sie rollten beide über den Boden. Edel sah
die Kriminalbeamten entsetzt an, ließ die Waffe fallen, stieß
Leo aus dem Weg und flüchtete in Richtung Treppenhaus.
»Er läuft nach
oben. Ihr kommt hinten herum.«
»In deinem Zustand?«,
fragte Robert.
Doch Leo war schon weg.
Noch nie war ihm eine Treppe
so lang vorgekommen. Er hörte über sich Schritte, ob sie von
Edel stammten, konnte er nicht sagen. Ein Kollege vom Raubdezernat, der
ihm entgegenkam, sah ihn verwundert an. »Geht es Ihnen nicht gut,
Wechsler?«
»Doch. Haben Sie einen
Mann im grauen Anzug die Treppen hinauflaufen sehen? Silberblondes Haar?«
»Ja, der ist mir im
zweiten Stock begegnet und wollte weiter nach oben. Hatte es ziemlich
eilig.«
»Danke.«
Er spürte, wie ihm der
Schweiß den Rücken hinunterlief. Seine Hände hingegen
waren kalt. Er musste stehen bleiben und tief Luft holen. Warum den Helden
spielen?, schalt er sich. Robert oder Berns wären längst oben.
Im vierten Stock schaute er
vorsichtig nach links und rechts. Hier befanden sich Archivräume, der
Korridor lag verlassen da. Nur eine Tür stand offen. Von drinnen hörte
er Straßenbahngebimmel und Verkehrslärm, obwohl die Räume
hoch über der Erde lagen.
Edel stand am offenen Fenster
und sah Leo an, als hätte er auf ihn gewartet.
»Er darf nicht so
davonkommen, er ist ein Verbrecher. Er ist der wahre Verbrecher«,
sagte er. »Er hat mich beschmutzt, er hat mich krank gemacht, ich
hasse diesen Mann.«
Leo überlegte rasch.
»Ich weiß. Die Folgen für Sie waren furchtbar, aber er
hat es nicht vorsätzlich getan. Sie hingegen haben Sartorius im
Affekt und Erna Klante vorsätzlich getötet. Um ein Haar hätten
Sie gestern auch mich getötet.«
Er hörte Schritte hinter
sich.
»Wer ist das?«
»Meine Kollegen.«
»Nein, ich will mit
Ihnen allein reden.«
Leo drehte sich zu Robert und
Berns um und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, im Korridor zu
warten.
»Viola wollte heute
kommen. Wären Sie nicht gewesen, wäre sie zu mir gekommen. Ich
habe das alles für sie getan.«
»Ich weiß. Kommen
Sie bitte, Herr Edel.« Leo machte einen Schritt auf ihn zu. Edels
Hand krampfte sich um die Fensterbank. »Bleiben Sie ruhig. Sie
werden sich einen Anwalt nehmen, der sich Ihre Geschichte anhören und
sich vor Gericht für Sie einsetzen wird. Dabei wird man Ihr
entsetzliches Schicksal berücksichtigen, dessen bin ich sicher.«
Noch einen Schritt.
Max Edel stieg auf die
Fensterbank und sprang aus dem vierten Stock auf die belebte Alexanderstraße.
Epilog
»Meinst du, sie hätten
ihn
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