Leo Berlin
nicht. Es geht um mehr als
Verliebtheit, ich habe mich regelrecht vor ihm gefürchtet. Und du
hast ihn damals in der Nähe des Tatorts gesehen. Mit dem Mann stimmt
etwas nicht, ganz sicher. Lass mich anrufen.«
Ellen nickte.
Viola ging in die
Eingangshalle zum Telefontischchen und hob den Hörer ab. Ihre Mutter
warf noch einen Blick auf die Nachricht.
Teure Viola,
ich erwarte Sie am
bekannten Ort.
M.
Mehr stand nicht in dem
Brief. Wo mochte dieser vereinbarte Ort sein? Hätte sie den abstrusen
Auftritt des Mannes nicht miterlebt, könnte sie glatt an den Aussagen
ihrer Tochter zweifeln. Er war so von seiner Absicht überzeugt
gewesen. Allerdings schien Max Edels ganze Liebesgeschichte nur in seinem
Kopf zu existieren, was reichlich beängstigend war.
Leos Hemd klebte ihm am Rücken,
als er sich hinter seinen Schreibtisch setzte. Der Verband schnürte
ihm die Luft ab.
»Du siehst gar nicht
gut aus«, bemerkte Robert.
»Ach, hör auf.
Holst du mir bitte ein Glas Wasser?«
Dann ließ er sich mit
der Staatsanwaltschaft verbinden. »Herr Dr. Friedrich, hier ist
Wechsler, Morddezernat. Ich benötige dringend einen Haftbefehl gegen
Herrn Max Edel, geboren in Berlin am 3. Mai 1889, wohnhaft in Berlin,
wegen zweifachen Mordes und versuchten Mordes. – Ja, es ist eilig.
Es besteht Fluchtgefahr.« Dafür gab es zwar keine Indizien,
aber die Behörden wollten bisweilen gedrängt werden. »Gut,
ich schicke jemanden vorbei.«
Als Robert mit dem Wasser zurückkam,
tauchte von Malchow hinter ihm in der Tür auf. »Herr Kommissar,
das hier dürfte Sie interessieren.« Er hielt seinen Notizblock
hoch. »Gerade hat mich Fräulein Cramer angerufen. Sie hat eine
Nachricht von Edel erhalten, laut der er sich mit ihr am bekannten Ort
treffen will.«
»Damit kommen Sie genau
richtig. Wo befindet sich denn dieser bekannte Ort?«
»Das weiß sie
leider auch nicht. Sie hat sich nie mit ihm irgendwo verabredet, es gab
nur zufällige Begegnungen bei größeren Gesellschaften.«
Leo trank einen Schluck
Wasser. »Robert, wir fahren zu Edel nach Hause, sobald wir den
Haftbefehl haben. Wenn er nicht da ist, suchen wir in der Firma. Von
Malchow, Sie holen bitte die Damen Cramer hierher. Ich möchte sehen,
wie Edel auf sie reagiert.«
Von Malchow nickte. »Wird
gemacht, Herr Kommissar.«
Sie würde kommen,
dessen war er gewiss. Die letzten Tage waren ein böser Traum gewesen,
doch nachdem er die Nachricht unter der Tür durchgeschoben und sich
davongestohlen hatte, spürte er neue Zuversicht. Er kam sich wie ein
frecher Straßenjunge vor. Sie würde kommen und ihn aus dem
Albtraum wecken, der ihn gequält hatte.
Er trat an das kleine
Fenster, durch das man in die Manufaktur blickte, sah die Menschen
zwischen den Arbeitstischen umhereilen und spürte eine nie gekannte
Macht. Sie alle arbeiteten für ihn. Ob sein Vater sich so gefühlt
hatte, wenn er, gesättigt von seinen Liebesspielen, hier am Fenster
stand? Oder hatte es ihn gar nicht interessiert?
Er wandte sich ab. Fuhr
sich abrupt mit der Hand ans Gesicht. Und spürte nichts. Seine rechte
Wange war ganz taub.
Panisch sah er sich um. In
einer Ecke entdeckte er ein Waschbecken mit einem Spiegel darüber. Zögernd
trat er davor und schaute hinein. Er sah aus wie immer, bis auf die
starren Pupillen. Sie würde gewiss nichts merken, so wie sie nie
etwas gemerkt hatte. Und sie würde ihn gesund machen, auch das wusste
er. Er hatte sich für sie frei gemacht, alle Fesseln abgestreift,
alle Spuren beseitigt, so dass er nur noch ihr gehörte.
Viola, das Veilchen. Seine
Stirn berührte den kalten Spiegel. Er versuchte, sie mit seinen
Gedanken herbeizuzwingen. So etwas gab es doch, er hatte davon gelesen.
Wenn man nur stark genug an jemanden dachte, würde derjenige dies spüren.
Komm zu mir, dachte er, komm endlich zu mir.
Die Haushälterin öffnete
und sah sie überrascht an, als Leo seinen Ausweis vorzeigte. »Wir
möchten zu Herrn Edel.«
»Den habe ich heute
noch gar nicht gesehen. Er hat auch nicht gefrühstückt, aber
sein Wagen ist weg. Vermutlich ist er ganz früh in die Firma
gefahren.«
»Hat er keinen
Chauffeur?«, erkundigte sich Leo.
»Doch, aber nur, wenn
er mit dem Daimler unterwegs ist. Den Delage fährt er selbst. Ludwig,
das ist der Fahrer, meint, er sei in den letzten Tagen oft allein
unterwegs gewesen.«
Sie führte die Beamten
in
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