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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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warten wolle.
    »Warten? Seit Wochen
     sind wir hinter dem Kerl her. Er hat bei Cramers eine theaterreife
     Vorstellung hingelegt, die vermutlich einem kranken Hirn entsprungen ist.
     Und mich dann hinterrücks überfallen. Wer weiß, wozu er
     sonst noch fähig ist.«
    »Schon, Leo, aber
     –«
    »Kein aber. Ich komme
     mit. Wartet unten auf mich, ich gehe noch kurz zu Marie.«
    Er ließ sich von einer
     Schwester den Weg zur Kinderstation erklären. Marie lag jetzt in
     einem großen Saal, in dem zwanzig Kinderbetten standen. Der einzige
     Schmuck waren einige Buntstiftbilder an den Wänden, sonst wirkte der
     Raum mit den weißen Metallbetten ziemlich kahl und abweisend. Er sah
     sich suchend um, doch Marie winkte ihm schon fröhlich zu. Sie kniete
     im Bett und hielt ein aufgeschlagenes Buch in den Händen. »Guck
     mal, Papa, das hat eine Frau zu Tante Ilse gebracht. Das ist für
     mich.«
    »Hallo, Liebes.«
     Er setzte sich vorsichtig aufs Bett und nahm seine Tochter in den Arm. Sie
     kuschelte sich an ihn, schaute hoch und deutete erschrocken auf seine Schläfe.
    »Papa, was hast du denn
     gemacht?«
    »Ein kleiner Unfall,
     aber es geht mir schon besser. Endlich kann ich dich wieder anfassen.«
     Er strich ihr sanft über die Wange. »Du darfst bald nach Hause.«
     Dann warf er einen Blick auf das Buch. TIERGESCHICHTEN FÜR DIE JUGEND
     stand darauf. »Und von wem hast du das?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
     »Eine Frau hat es Tante Ilse für mich gegeben, hab ich doch
     gesagt. Von der sind auch die beiden hier.« Sie zeigte auf zwei
     weitere Bücher, die auf dem Nachttisch lagen. Da wurde ihm alles
     klar.
    »Ich glaube, wir müssen
     uns bei jemandem bedanken.«
    Auf dem Weg nach draußen
     überlegte Leo, ob seine Entscheidung wirklich richtig gewesen war. Im
     Bett hatte er sich ganz kräftig gefühlt, doch schon jetzt, nach
     wenigen Metern, sickerte ihm ein Rinnsal Schweiß zwischen den
     Schulterblättern hinunter. Er wischte sich mit der Hand über die
     Stirn.
    »Fühlen Sie sich
     nicht wohl?«, fragte eine Schwester, die gerade vorbeikam.
    Er schüttelte den Kopf.
     »Es geht schon, danke.« Er holte tief Luft und ging weiter
     Richtung Ausgang, getrieben von dem dringenden Bedürfnis, Edel persönlich
     Handschellen anzulegen. Ein kräftiger Tritt vors Schienbein wäre
     ihm allerdings noch lieber gewesen.
    Er parkte vor dem
     Hintereingang der Firma, stieg mit dem Koffer aus und sah sich um. Die
     schmale Straße lag verlassen da. Wohnhäuser gab es keine, nur
     hohe Mauern und Zäune, hinter denen Fabriken und Werkstätten
     lagen. Er schloss die Tür auf, die unauffällig in die Mauer
     eingelassen war, und schlüpfte hinein. Die Treppe führte von der
     winzigen Diele aus steil nach oben.
    Er war seit Jahren nicht
     hier gewesen. Nicht seit dem Tod seines Vaters, als er die Wohnung zum
     ersten und gleichzeitig letzten Mal betreten hatte.
    Er erinnerte sich, wie er
     den Testamentsvollstrecker nach dem Schlüssel gefragt und ein
     mitleidiges Lächeln geerntet hatte. Der Anwalt hatte einen
     vielsagenden Blick mit dem Betriebsleiter gewechselt und ihn zu der
     zweiten Tür geführt, die von der Manufaktur aus zu erreichen
     war. »Sehen Sie selbst, Herr Edel.«
    Eigentlich war es keine
     Wohnung, sondern ein einziges riesiges Schlafzimmer mit dem größten
     und luxuriösesten Bett, das er je gesehen hatte. Es symbolisierte auf
     schamlose Weise, wozu sein Vater diesen Raum benutzt hatte. Hierher war er
     gegangen, wenn er sich angeblich in wichtigen Besprechungen befand und
     sogar den eigenen Sohn abwimmeln ließ.
    Er hatte nie erfahren, ob
     seine Mutter von alldem wusste, weil er nie gewagt hatte, sie darauf
     anzusprechen.
    Die Entdeckung hatte
     seinen Ekel vertieft, seinen toten Vater noch fremder erscheinen lassen,
     als er ihm ohnehin immer gewesen war.
    Nun aber war er froh, dass
     es diesen Zufluchtsort gab. Hier würde er auf Viola warten.

 
    21
    Der Briefumschlag lag
     zwischen ihnen auf dem Tisch, als wage keine der Frauen, ihn zu berühren.
     Daneben ein einzelnes Blatt: edles, graues Bütten mit feinem
     Wellenrand.
    Viola sah ihre Mutter
     zweifelnd an. »Soll ich den Kriminalbeamten anrufen, der mit uns
     gesprochen hat?«
    Ellen überlegte. »Ich
     weiß nicht so recht, ich will mich auch nicht lächerlich
     machen. Der arme Mann ist vermutlich so verliebt, dass er nicht mehr weiß,
     wo ihm der Kopf steht.«
    »Nein«,
     entgegnete Viola heftig, »das glaube ich

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