Leo Berlin
wenn se nach Freiern jekiekt hat.«
»Hatte sie einen Luden?«
Der Junge zuckte die Achseln.
»Weeß ick nich.«
Leo drückte ihm einen
Groschen in die Hand. »Such dir lieber einen anderen Beruf.«
Die Menschenansammlung
verriet ihm, wo der Eingang zum Hinterhof lag. Er zeigte seinen Ausweis,
worauf die Leute eine Gasse bildeten. Auf dem Hof stand ein kräftiger
Mann in Hemdsärmeln, eine Hand in die Seite gestemmt. In der anderen
hielt er eine große Lampe.
Leo stellte sich vor. Der
Hauswirt Gustav Seidel hatte die überfällige Miete eintreiben
wollen und die Mieterin tot vorgefunden. Gesehen hatte er niemanden, aber
sie brachte auch nur noch selten Freier mit nach Hause. »Da war der
Lack ab«, knurrte Seidel empört, da er seine Miete vermutlich
nie mehr bekommen würde.
»Wie lange wohnte sie
schon hier?«
»So an die drei Jahre.
Weiß gar nicht, wovon die überhaupt gelebt hat.«
Leo wies ihn an zu warten,
bis sein Kollege eintreffen und die Aussage aufnehmen würde. Dann
ging er zu dem kleinen Anbau, der kaum wie eine menschliche Behausung
aussah. Ein schmutziges Fensterchen, rauchgeschwärzte Mauern. Er
drehte sich um. »Geben Sie mir bitte mal die Lampe. Brannte noch
Licht, als Sie kamen?«
Der Hauswirt schüttelte
den Kopf. »Nee. Hab mir die Lampe geholt, weil es so finster war.«
Leo leuchtete in den einzigen
Raum. Überraschend sauber, nur die notwendigsten Möbel. Ein
eisernes Bettgestell mit dünner Matratze. Darauf die Frau, die Arme
seitlich ausgestreckt, den Kopf zur Seite gedreht, ein buntes Stück
Stoff deutlich sichtbar um den Hals geschlungen. Sie war vollständig
bekleidet, das Kleid beinahe züchtig heruntergezogen.
Er sah sich gründlich
um. Nichts deutete auf einen Kampf oder Raubversuch hin. Leo trat mit der
Lampe näher an die Frau heran. Ihr Gesicht war blau angelaufen, auf
Stirn und Wangenknochen waren rote Punkte, Zeichen von Blutungen unter der
Haut, zu erkennen. Tod durch Erdrosseln, dafür brauchte Leo keinen
Leichendoktor. Die fehlenden Kampfspuren ließen auf ein starkes
Überraschungsmoment schließen. Vielleicht war der Mörder
auch von hinten an die Frau herangetreten, so dass ihre Hände bei der
Abwehr ins Leere griffen. Aber das würde die Untersuchung zeigen.
Der Anblick der verlebten
Frau bedrückte ihn. Vielleicht, weil der Mord so absurd wirkte.
Vielleicht, weil der Mörder ihr noch den Rock glatt gezogen hatte,
als sollte sie im Tod nicht entblößt daliegen. Wertgegenstände
waren hier nicht zu holen, einen überteuerten Preis würde sie für
ihre Dienste auch nicht verlangt haben. Oder hatte es irgendein Erbstück
gegeben, eine Kleinigkeit, die sie aus einer besseren Vergangenheit
aufbewahrt hatte?
In diesem Moment trat Robert
Walther durch die Tür.
»Gut, dass du kommst.
Ist der Arzt auch unterwegs?«
Walther nickte. »Ich
glaube, da draußen möchte jemand mit dir sprechen.«
Leo ging auf den Hof hinaus.
In einer Ecke stand ein alter Mann mit silberweißem Haar, das ihm
bis auf die Schultern reichte. Es umrahmte sein scharf geschnittenes
Gesicht mit der Nickelbrille, die ihm das Aussehen einer weisen alten Eule
verlieh. Seine Kleidung war verschlissen, aber nicht schmutzig. Er machte
einen schüchternen Schritt auf Leo zu, traute sich aber nicht so
recht weiter. » Policja ?«, fragte er zögernd.
Leo nickte. »Sprechen
Sie deutsch?«
Der Mann schüttelte den
Kopf. » Proszę . . . bitte . . .«
Leo sah sich um. Die
Neugierigen hatten sich um den Hauswirt geschart, als könnten sie
sich noch nicht vom Ort der Gewalt losreißen.
»Das ist der alte
Zylberstein«, sagte eine Frau. »Der Lumpensammler. Redet nur
Polnisch.«
Der Mann wollte allem
Anschein nach eine Aussage machen. Leo legte ihm die Hand auf den Arm und
sagte in ruhigem Ton: »Wir nehmen Sie gleich mit. Dann können
Sie mit jemandem sprechen, der Sie versteht.«
» Nie rozumien . . . nicht verstehe . . .«
»Robert, haben wir im
Präsidium jemanden, der Polnisch spricht?«
Sein Kollege trat in die Tür,
in der Hand einen Fingerabdruckpinsel. »Stankowiak von der Sitte.«
Jetzt betrat Dr. Lehnbach den
Hof. Leo grüßte ihn kurz und deutete auf das Kabäuschen.
Dann sagte er zu Walther: »Mach weiter. Und behalte Herrn
Zylberstein im Auge, damit er es sich nicht anders überlegt. Ich hole
Stankowiak.«
Robert gab ihm den Schlüssel,
und Leo eilte auf die
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