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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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sah sie betroffen an und
     überlegte rasch. Sie war also verabredet gewesen. Hatte sie etwa
     einen Freund, von dem er nichts ahnte? Hier war Vorsicht geboten.
    Er versuchte sie zu
     beschwichtigen: »Wenn du das nächste Mal etwas vorhast, dann
     sag es mir bitte rechtzeitig. Natürlich nehme ich Rücksicht
     darauf, soweit meine Arbeit es zulässt.«
    »Als wenn du mir je
     Bescheid gesagt hättest, wenn du zu dieser Marlen gegangen bist. Und
     dein beruflicher Ehrgeiz kommt immer an erster Stelle.«
    Womit sie erneut ins Schwarze
     getroffen hatte. Er hätte den Fall Klante nicht übernehmen müssen,
     wollte ihn aber nicht an Herbert von Malchow abtreten. Sein Ehrgeiz und
     die Abneigung gegen den Kollegen waren ihm in diesem Moment wichtiger
     gewesen als Ilse und die Kinder. Andererseits spürte er noch die
     Erregung, die ihn überkommen hatte, als Robert Walther ihm den
     eleganten Knopf zeigte und als der alte Pole von dem Mann sprach, der Erna
     in den Hinterhof gefolgt war. Diese Erregung war es, die ihn von einem
     Fall zum nächsten lockte, die diesen Beruf zu etwas machte, das
     über den reinen Broterwerb hinausging. Und er war davon überzeugt,
     dass sich diese besondere Hingabe an seinen Beruf auch in seinen
     Leistungen spiegelte. Vielleicht war ihm das zu wichtig, wie er sich in
     seltenen Momenten eingestand.
    Plötzlich hielt es ihn
     nicht mehr in der Wohnung. »Ich gehe noch mal weg.« Mit diesen
     Worten schloss er die Wohnzimmertür hinter sich, nicht laut oder
     abrupt, sondern als hätten sie ein freundschaftliches Gespräch
     geführt, das zu einem einvernehmlichen Ende gelangt war.
    Er lief die Treppe hinunter,
     nahm zwei Stufen auf einmal, es drängte ihn, von seiner Schwester
     wegzukommen. Auf der Straße überlegte er kurz, dann ging er in
     die Kneipe an der Ecke. Otto Piene, den Wirt, kannte er schon ewig. Er
     stand wie immer hinter dem Tresen und polierte Gläser. Leo hielt
     Ottos Gläser für die saubersten in ganz Moabit. »Wenn ick
     poliere, kann ick jut zuhören«, pflegte der behäbige Wirt
     mit den Hängebacken zu sagen.
    Der Boden war mit frischen Sägespänen
     bestreut, die Einrichtung schlicht, aber sauber. Ottos leidenschaftliches
     Polieren erstreckte sich auch auf Tresen und Tische. Für einen
     Sonntagabend war in der Kneipe viel Betrieb, Stimmengewirr und erregte
     Diskussionen erfüllten den kühlen Schankraum. Otto begrüßte
     Leo mit Handschlag und zapfte ihm ein Weißbier.    
    »Der Herr Kommissar am
     Abend«, sagte er. »Wat ’ne Ehre.«
    »Voll heute«,
     meinte Leo. Otto brauchte nicht zu wissen, dass er es bei Ilse nicht
     ausgehalten hatte.
    »Ja, die Leute warn bei
     der Kundjebung im Lustjarten. Ick konnte leider nich hin. So ’ne
     Sauerei mit dem Rathenau, die Mörder jehörn selber erschossen.«
    Leo sah sich um. Manche Männer
     wirkten noch immer aufgebracht, ein KPD-Mann aus der Turmstraße
     hatte eine Gruppe um sich versammelt und schlug beim Reden wiederholt mit
     der Faust in die Handfläche. Hoffentlich hören die Politiker da
     oben aufs Volk, dachte er bei sich. Allzu oft waren sie taub auf dem Ohr,
     Republik hin oder her.
    »Biste ooch dajewesen,
     Leo?«, fragte der Wirt.
    »Ja, ich habe mir die
     Kundgebung angesehen. Ich kann die Leute gut verstehen. Alle haben
     gedacht, das Morden ist endlich vorbei, und dann geht es zu Hause weiter.
     Zuerst Erzberger, dann der Anschlag auf Scheidemann, jetzt Rathenau.«
     Leo trank sein Bier aus und stellte das Glas auf den Tresen.
    »Noch eins?«,
     fragte der Wirt.
    Leo schüttelte den Kopf.
    »Schön, dat die
     Ilse ooch mal ’n Netten jefunden hat, wa?«, meinte Otto dann
     nichtsahnend.
    Leo hoffte, dass ihm das
     Erstaunen nicht zu deutlich ins Gesicht geschrieben stand. »Hm, ja«,
     sagte er unverbindlich und hoffte auf eine nähere Erklärung.   
    Damit lag er bei dem gesprächigen
     Wirt genau richtig. »Hab die beiden heut Nachmittach jesehn, so um fünfe.
     Janz anständich, ohne Händchenhalten und Poussieren. Einfach
     nett. Sind ’n bisschen auf und ab spaziert.«
    »Das Wetter war ja schön«,
     erwiderte Leo schwach, doch Otto merkte ihm anscheinend nichts an.
    »Ja, ja. He, Justav,
     noch ’ne Molle?« Der Mann, der sein leeres Glas gehoben hatte,
     nickte. Leo konnte unmöglich weiterfragen, ohne seine
     Ahnungslosigkeit zu offenbaren. Daher legte er eine Münze auf den
     Tresen und verabschiedete sich von Otto.
    Er ging hinaus in den kühlen
     Sommerabend und

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