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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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weiße Flecken zu
     erkennen. Er schaltete die Lampe aus. »Du kannst den Mund wieder
     zumachen, Liebes.« Er setzte sie neben sich und stand auf. »Du
     hast wohl eine Mandelentzündung. Aber wir müssen dich im Auge
     behalten. Du schläfst heute Nacht am besten bei mir. Und wenn es
     morgen früh nicht besser ist, gehen wir zum Arzt.«
    Ilse nickte. »Bring du
     sie ins Bett.« Ihre Feindseligkeit war der Sorge um Marie gewichen.
     »Soll ich ihr einen Umschlag machen?«
    »Das wäre sicher
     gut.«
    Sie gingen zusammen in die Küche,
     wo Ilse ein Küchenhandtuch auf dem Tisch ausbreitete und mit Quark
     bestrich. »Der war eigentlich für die Pellkartoffeln, aber die
     können wir auch mit Margarine essen«, sagte sie über die
     Schulter. Leo goss sich ein Glas Bier ein und trat ans Fenster. »Anstrengender
     Tag?«
    Überrascht drehte er
     sich um. Sie hatte ihn schon lange nicht mehr nach seiner Arbeit gefragt.
     »Ja, wir sind durchs Scheunenviertel gelaufen. Viel Mühe, bei
     der wenig herausgekommen ist. Und morgen geht es weiter. Wir untersuchen
     den Mord an einer Prostituierten.«
    »Ist die Gegend
     wirklich so . . . anrüchig?«, erkundigte sich Ilse vorsichtig.
    »Na ja, wohnen möchte
     ich dort nicht. Enge Gassen, dunkle Höfe, zwielichtige Kneipen. Aber
     mittendrin gibt es viel Leben, Geschäfte, Synagogen, Schulen,
     Kabaretts. Man kann das Viertel nicht insgesamt als kriminell abtun. Es
     ist ungeheuer vielfältig. So viele unterschiedliche Menschen. Das
     macht die Ermittlungen allerdings nicht gerade einfacher.«
    Aus dem Wohnzimmer drang
     wieder der bellende Husten. Ilse nahm den Umschlag und ging zu Marie, die
     sich mit beiden Händen den Hals hielt. »Beim Husten tut es auch
     weh.«
    »Pass auf, gleich wird
     es kalt.« Marie keuchte laut, als sie den kalten Quark am Hals spürte.
     Ilse bedeckte den Umschlag noch mit einem warmen Tuch. »Morgen geht
     es dir bestimmt besser. Trink deinen Tee aus, dann bringt Papa dich ins
     Bett.«
    Leo nahm Marie wieder auf den
     Schoß und las ihr das Märchen von den Sterntalern vor, das
     Marie besonders gern mochte. Irgendwann drückte ihr Kopf schwer gegen
     seine Schulter, sie war eingeschlafen. Sanft schlug er die Decke
     auseinander und trug sie in sein Schlafzimmer, wo sie sich wie ein Igel
     unter dem Federbett einrollte. Er schaute noch eine Weile auf sie hinunter
     und ging dann ins Wohnzimmer, wo er in einer Kunstzeitschrift blätterte.
     Doch er konnte sich nicht auf die abgebildeten Werke oder die Berichte zu
     den Ausstellungen konzentrieren, weil immer wieder die blutbefleckte
     Buddhafigur vor seinen Augen auftauchte. Der verdammte Artikel hatte seine
     Unzufriedenheit aufs Neue entfacht. Schließlich ging er ins Bad,
     nahm den Hemdkragen ab und legte ihn auf die Fensterbank. Er fuhr sich
     über die kratzigen Bartstoppeln, wusch sich Gesicht und Hände,
     putzte sich die Zähne und ging in sein Schlafzimmer.    
    Leo war gerade eingeschlafen,
     als er von einem seltsamen Geräusch erwachte. Ein langgezogenes
     Keuchen, das er zunächst nicht einordnen konnte. Dann tastete er mit
     der Hand nach rechts und berührte einen kleinen Hügel unter der
     Decke. Marie. Ruckartig setzte er sich auf und schaltete die
     Nachttischlampe ein. Seine Tochter lag auf dem Rücken, die Augen weit
     geöffnet, und rang mühsam nach Luft.
    Er schwitzte am ganzen Körper,
     sein Pyjama war feucht, die Decke lag zusammengeknüllt am Fußende
     des Bettes. Verstört setzte er sich auf und lehnte sich ans
     geschnitzte Kopfende, dessen Ornamente sich unangenehm in seinen
     Hinterkopf bohrten. Jetzt war er endgültig wach, zum Glück. Der
     Traum war so real gewesen, dass er seine Hände im Licht der
     Nachttischlampe betrachtete und staunte, dass sie sich nicht verändert
     hatten.    
    Er hatte bei einem
     festlichen Abendessen neben Viola gesessen. Gerade als er sein
     Chateaubriand anschneiden wollte, war die erste Wunde auf seinem linken
     Handrücken erschienen. Ein hässlicher roter Fleck, wie rohes
     Fleisch. Gut, dass Viola rechts von ihm saß. Doch dann veränderte
     sich auch seine rechte Hand. Und es wurden immer mehr Flecken, sie
     breiteten sich über seine Handgelenke aus, krochen unter die
     Manschetten, die Arme hinauf bis zu den Schultern.
    Violas Blick brannte heiß
     an seiner Schläfe, er wagte nicht, den Kopf zu drehen. Seltsam, die
     anderen Gäste schienen nichts zu bemerken, sie aßen und
     plauderten ungerührt weiter. Sie

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