Leo Berlin
hatte sich entschlossen, es im Büro aufzuhängen, denn er wollte
keine neue Auseinandersetzung mit Ilse heraufbeschwören. Die Stimmung
zu Hause hatte sich nur deshalb ein wenig beruhigt, weil Marie so krank
war. Als er das kleine Gemälde gerade auf den Schreibtisch legte, kam
Robert herein.
»Was hast du denn da?«
»Ein Bild.«
»Gute Idee. In Kunst
anlegen, wenn das Geld an Wert verliert«, meinte Robert mit gutmütigem
Spott.
»Du kennst mich, ich würde
ein Bild nicht als Wertanlage kaufen. Es stammt von einem unbekannten Künstler,
ich habe es günstig bekommen.«
Er faltete das Packpapier
auseinander und hielt das Bild unter die Deckenlampe, da es im Büro
ziemlich dunkel war. Robert trat näher. »Einsame Frau«,
meinte er knapp.
»Ja. Aber etwas daran
hat mir gefallen. Ich habe überlegt, warum sie so dasitzt, und dann
ist mir aufgefallen, dass ich selbst manchmal so dasitze. Fast ohne zu
denken.«
»Von wegen. Das nehme
ich dir nicht ab. Dein Gehirn steht doch nie still.« Robert räusperte
sich. »Schlechte Nachrichten, Leo. Sie haben Stahnke abgezogen und
von Malchow in unsere Kommission gesteckt.« Er wunderte sich, dass
Leo nicht reagierte, doch als er das Gesicht seines Freundes sah, fragte
er besorgt: »Was ist denn mit dir los? Schlecht geschlafen?«
Leo nickte. »Ich habe
Marie letzte Nacht ins Krankenhaus gebracht. Dringender Verdacht auf
Diphtherie.«
»Das tut mir leid.
Willst du nicht hinfahren?«
Er schüttelte den Kopf
und stand energisch auf. »Nein, ich kann ohnehin nicht zu ihr
hinein. Ich darf sie nur durchs Fenster sehen. Ich besuche sie in der
Mittagspause.« Er goss Wasser aus einer Kanne auf ein Taschentuch
und wischte sich damit übers Gesicht, um endlich richtig wach zu
werden. Robert spürte, dass Leo nicht weiter über Marie sprechen
wollte.
»Warum haben sie
Stahnke abgezogen?«
»Er kennt sich mit Schlössern
aus. Die Kollegen bearbeiten eine Einbruchserie in Dahlem, da brauchten
sie einen Fachmann. War nichts zu machen.« Er hob die Schultern.
»Augen zu und durch.«
»Ich sehe mir noch
einmal die Akten im Fall Sartorius an«, sagte Leo und deutete auf
eine dicke Aktenmappe, die auf dem Tisch lag. »Heute Abend gehen wir
ins Scheunenviertel, tagsüber kommen wir da nicht weiter.«
Robert sah ihn überrascht
an. »Wieso Sartorius? Haben wir neue Erkenntnisse?«
»Das nicht. Aber die
Presse vergisst nicht so schnell.« Er schob Robert den
Zeitungsausschnitt vom Vortag hin.
»Den kenn ich schon.«
Robert verstummte unvermittelt.
Leo blickte hoch. »Woher?
Das Blatt liest du doch sonst nicht.«
»Ach, ist nicht so
wichtig.«
»Robert?«
»Von Malchow hat ihn
heute Morgen herumgezeigt, du kennst ihn ja. Für einen Tritt von
hinten ist er sich nie zu schade. Lass die Presse doch schreiben, was sie
will. Die kennen den Täter schon, bevor der Mord passiert ist. Du
brauchst einfach ein dickeres Fell, Leo.«
Doch er wusste, dass Leos
Ehrgeiz solche Seitenhiebe schlecht vertragen konnte, zumal es sich um ein
prominentes Opfer handelte, das immer für eine Schlagzeile gut war.
Und von Malchows Verhalten in Verbindung mit Leos ohnehin mäßiger
Laune war kein gutes Omen für die bevorstehende Zusammenarbeit.
»Hast du schon die
Liste von der Knopffabrik bekommen?«, fragte Leo unvermittelt.
»Außer der Brosche ist sie unsere einzige brauchbare Spur.
Sind die Aufnahmen von dem Schmuckstück schon an die Außenstellen
gegangen?«
Robert nickte. »Ich
rufe Herrn Lehmann an und fahre hin, wenn sie die Liste fertig haben.«
»Ich hole sie selbst
ab. Vielleicht kriege ich draußen endlich einen klaren Kopf. Heute
Abend um sechs gehen wir los. Du kannst zwischendurch freimachen, es wird
eine lange Nacht.« Mit diesen Worten vertiefte er sich wieder in
seine Akten.
Robert hatte ein ungutes Gefühl
im Magen, als er Leo am Schreibtisch sitzen ließ. Er wusste, wie
sehr Dorotheas Tod ihn getroffen hatte, und jetzt Marie – Robert
verdrängte die Vorstellung, sie könnte ebenfalls sterben. Kinder
waren voller Leben, aber auch ungeheuer verletzlich. Die Kindermorde, die
er bei der Kripo bearbeitet hatte, waren seine schlimmsten Fälle
gewesen.
Er räusperte sich. Leo
blickte unwillig auf.
»Soll ich mal bei Marie
vorbeischauen?«
»Danke. Sie wird sich
freuen.«
Als Stankowiak anklopfte,
hatte Leo die Akte Sartorius zum
Weitere Kostenlose Bücher