Leo Berlin
vorsichtig.
Elisa Reichwein, die solche
Fragen nicht schrecken konnten, brach in tiefes, wohlklingendes Lachen
aus. »Ich habe über Sartorius nie etwas Derartiges gehört,
und Sie können mir glauben, in den Kreisen, in denen er sich bewegte,
wird viel geklatscht. Darf ich fragen, wie Sie auf diese Idee gekommen
sind?«
Leo überlegte kurz.
»Wir bearbeiten zurzeit einen Prostituiertenmord, und ich habe das
Gefühl, die Fälle könnten zusammenhängen.« Schon
als er es aussprach, merkte er, wie weit hergeholt dieser Gedanke klang.
Im Gespräch mit Robert war er ihm beinahe logisch erschienen, dabei
wusste er genau, dass Zufälle immer möglich waren. Und die
Gemeinsamkeiten zwischen den Morden konnten durchaus zufällig sein.
Wenn es dieselbe Waffe gewesen wäre, wenn Zeugen ähnlich
aussehende Personen am Tatort beobachtet hätten, aber so?
»Was für eine Frau
war sie?«, wollte Elisa Reichwein wissen.
Leo war wütend auf sich
selbst und sagte gewollt brutal: »Anfang fünfzig, abgetakelt,
eine Gelegenheitshure, die kaum noch Freier fand.«
»Und mit der soll
Gabriel Sartorius verkehrt haben? Nie im Leben. Er liebte schöne
junge Frauen, für die er nicht bezahlen musste.«
Leo wollte plötzlich
nicht mehr über die Arbeit sprechen und trat noch einmal vor das Bild
mit der Frau auf der Bettkante.
»Es gefällt Ihnen,
nicht wahr?«
»Ja. Er hat Talent. Ob
es noch weitere Bilder von ihm gibt?«
»Das mag durchaus sein.
Der Maler war gewiss kein Anfänger. Wie die dunklen Töne im
Hintergrund verschmelzen, eine Art Kulisse bilden für das Mädchen.
Bestimmt ist sie verlassen worden.«
»Oder sie wartet auf
jemanden, hat aber Zweifel«, meinte Leo. »Vielleicht wartet
sie auch vergeblich. Mir gefällt an dem Bild, dass man sich so viele
Geschichten dazu ausdenken kann.«
»Für einen
Polizisten sind Sie ganz schön romantisch«, stellte die
Galeristin lächelnd fest.
»Nicht romantisch, höchstens
phantasiebegabt«, entgegnete Leo. »Manchmal hilft es, sich
eine Geschichte auszudenken, eine Situation weiterzuspinnen.« Jetzt
begriff er auch, dass ihn das verschattete Zimmer auf dem Bild unbewusst
an die schäbige Kammer erinnert hatte, in der sie die Leiche von Erna
Klante gefunden hatten. Nicht weil die junge Frau ihr glich, sondern weil
sie, obwohl lebendig, so abgesondert von ihrer Umgebung schien. »Wie
viel verlangen Sie dafür, Frau Reichwein?«
Sie schaute ihn nachdenklich
an, legte einen rot lackierten Fingernagel an das eckige Kinn. »Zweihundert
Mark.« Sie sagte es völlig neutral, ihre Stimme verriet nicht,
ob der Preis angemessen oder entgegenkommend war.
»Ich nehme es. Bezahlen
kann ich es heute allerdings nicht.«
»Schon gut, ich lasse
es Ihnen einpacken. Sie wissen ja, wo Sie mich finden, Herr Wechsler.«
Als Leo die Galerie verließ,
das in Papier eingeschlagene und mit einer goldenen Schnur verknotete
Paket in der Hand, fühlte er sich auf einmal ganz leicht. Setzte sich
sogar über den Gedanken hinweg, was Ilse dazu sagen würde. Etwas
zu tun, ohne lange zu überlegen, einfach weil man Gefallen daran
fand, konnte ungeheuer befreiend sein.
10
Als er die Tür
aufschloss, hörte er Marie husten. Es klang wie Hundegebell. Sie saß
im Wohnzimmer auf dem Sofa, in eine Decke gehüllt, und sah ihn mit
großen Augen an. »Papa, mir tut der Hals so weh.« Leo
nahm sie auf den Schoß und strich ihr übers Haar. »Du fühlst
dich ein bisschen warm an, Kleines. Wo ist Tante Ilse?«
In diesem Moment kam seine
Schwester mit einer Tasse Kräutertee ins Zimmer. Sie wirkte
erleichtert, als sie ihn mit Marie auf dem Sofa sitzen sah. »Ich
mache mir Sorgen, Leo. Dieser Husten ist doch nicht normal. Ich glaube,
das ist keine gewöhnliche Erkältung.«
»Wie lange geht das
schon so?«
»Seit ein paar Stunden.
Wir waren vormittags mit dem Puppenwagen im Park, da hatte sie nur ein
bisschen Halsweh. So gegen zwei ging es mit dem Husten los. Und die
Halsschmerzen sind schlimmer geworden, sie mochte gar nichts essen.«
»Hohes Fieber scheint
sie aber nicht zu haben«, sagte Leo. »Pass mal auf, Tante Ilse
holt eine Lampe, und dann schaue ich in deinen Hals.«
Marie nickte. »Aber
nicht anfassen.«
»Nein, nur gucken.«
Mit schmerzverzerrtem Gesicht
machte sie den Mund auf, so dass Leo hineinleuchten konnte. Der Hals war
angeschwollen, auf den Mandeln waren gelblich
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