Leo Berlin
Juweliers. »Also unternehmen wir heute
einen Ausflug nach Potsdam.«
»Und hoffen, dass er
seine Buchhaltungsunterlagen aufbewahrt hat«, fügte Robert
hinzu.
Leo wandte sich an Herbert
von Malchow, der im Vorzimmer saß und seine Fingernägel
betrachtete. »Von Malchow, Sie kümmern sich bitte um den
Getreidehändler Blatzheim. Bis nachher.«
Er blieb im Taxi sitzen
und schaute aus dem Fenster. Das Gebäude war immens groß und
besaß zahlreiche Eingänge. Eine Straßenbahn ratterte
vorbei. Drei Kinder in zerlumpter Kleidung klopften an die Scheibe und
wurden vom Taxifahrer verscheucht. Er achtete gar nicht auf sie, saß
reglos da, die Hände im Schoß, hielt den Kopf unverwandt nach
links.
Der Taxifahrer spähte
durch den Rückspiegel nach hinten, schüttelte den Kopf und zündete
sich eine Zigarette an. Geld verdienen, ohne Sprit zu verbrauchen, da
konnte er sich noch eine genehmigen.
Nach einer Weile kam plötzlich
Leben in den Fahrgast. Zwei Männer traten aus dem Haupteingang und
gingen in Richtung eines Hofes, auf dem mehrere Automobile parkten.
»Warten Sie.« Er stieg aus, überquerte die Straße,
betrat das Gebäude und wandte sich an den Pförtner. »Verzeihung,
ist es möglich, dass ich gerade Herrn Kommissar Wechsler verpasst
habe?«
»Ja, der hat sich
eben die Wagenschlüssel geholt. Möchten Sie ihm eine Nachricht
hinterlassen?«
»Nein, danke. Ich
komme noch einmal wieder.«
Er wollte gerade zu seinem
Taxi zurückkehren, als ein gutgekleideter Mann aus der anderen
Richtung kam, kurz mit dem Pförtner sprach und das Präsidium
betrat.
Im Taxi zermarterte er
sich den Kopf. Undeutliche Bilder zogen vorbei, schemenhafte Gestalten,
verzerrte Stimmen dröhnten in seinen Ohren. Er hielt den Kopf mit den
Händen umklammert und hoffte nur, dass der Fahrer nicht nach hinten
schaute. Selbst wenn. Migräne, würde er sagen. Migräne war
gut.
Als sie zum Wagen gingen, sah
Robert seinen Freund prüfend von der Seite an. »Was ist los?
Mit dir stimmt was nicht, und es geht nicht nur um Marie.«
Leo schaute unverwandt
geradeaus. Dann sagte er: »Ach, ich war letzte Nacht bei Marlen.
Hatte keine Lust, nach dem Einsatz nach Hause zu gehen. Ich weiß,
ich hätte Ilse anrufen müssen, sie hat genug Sorgen, aber ich
mochte einfach nicht. Heute Morgen bin ich ihr im Krankenhaus begegnet.«
»Und?«, hakte
Robert nach. Er holte zwei Äpfel aus der Tasche und bot Leo einen an,
aber der schüttelte den Kopf.
»Wir hatten Streit. Ich
fürchte, sie wird irgendwann ausziehen. Wenn es ihr zu viel wird,
meine ich.«
»Sie kann euch doch
nicht im Stich lassen, Leo.«
»Aber sie ist
sechsunddreißig. Sie hat ein Recht auf ein eigenes Leben. Abends
ausgehen, Freunde, Tanztee, was weiß ich. Vielleicht auch Kinder.«
»Mag sein, aber du
sorgst doch für sie«, gab Robert zu bedenken. »Sie hat
keinen eigenen Beruf, oder?«
»Nein. Früher
wollte sie Krankenschwester werden, aber unser Vater hielt nichts davon.
Frauen brauchen keine Arbeit außer Haus, meinte er immer.«
»Dabei haben wir
heutzutage sogar Frauen bei der Kripo.«
»Das hätte er
nicht verstanden«, meinte Leo ein wenig bitter. »Er hat sich
überhaupt wenig Mühe gegeben, andere zu verstehen.« Er
schlug mit der Hand aufs Lenkrad. »Verdammt, mir gehen auf einmal so
viele Dinge durch den Kopf. Wie es kommt, dass man lebt, wie man lebt, und
nicht anders. Dass Dorothea gestorben ist und Ilse deshalb für uns
sorgen muss. Dass Marie krank wird und in dieselbe Klinik kommt wie ihre
Mutter.«
Robert legte ihm
beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Ich versteh dich ja, aber du
solltest dich nicht so quälen. Marie wird wieder gesund, da bin ich
sicher. Die Kleine ist ein tapferes Mädchen.«
»Danke, Robert.«
Leo schaute kurz aus dem Fenster. Das Wetter war schöner geworden,
und die Sonne ließ den Wannsee wie Diamanten funkeln, als sie von
der Potsdamer Chaussee auf die Brücke fuhren. Bald breitete sich
rechts und links der Straße die grüne Mauer des Berliner
Forstes aus. Hier könnte man am Wochenende schön spazieren
gehen, überlegte Leo. Doch daran war im Augenblick nicht zu denken.
»Wie war die Adresse,
Robert?«
»Brandenburger Straße,
das ist mitten in der Altstadt.«
Leo parkte zwischen den roten
Giebelhäusern des Holländischen Viertels und schaltete den Motor
aus. »Das Wetter ist so schön.
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