Leo Berlin
allein im Krankenhaus liegen. Und der
Fall geht nicht voran. Ach, egal, ich wollte heute Nacht einfach nicht
allein sein.«
Sie berührte vorsichtig
seinen Arm und schaute ihn von unten her an. »Manchmal glaube ich,
du kommst nur zu mir, wenn es dir schlecht geht.«
»Stimmt«, sagte
er offen. »Stört dich das?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Besser als wenn du gar nicht kämst. Möchtest du was
essen?«
»Du willst dich mit
deinem schönen Kleid doch nicht in die Küche stellen, oder?«
»Was Kaltes hab ich
immer da. Augenblick.«
Kurz darauf kam sie mit einem
Teller wieder, auf dem eine Frikadelle, eine Essiggurke und ein paar
Klappstullen lagen.
»Danke.«
»Und was das Alleinsein
angeht – du bist doch nicht allein. Du hast eine Familie.«
Leo kaute nachdenklich.
»Schon, aber es ist eben keine, wie soll ich sagen, keine richtige
Familie.« Plötzlich kam er sich wie ein Schwein vor. »Ilse
tut mehr für uns, als ich je wieder gutmachen kann, aber sie ist eben
nicht meine Frau. Ich kann nicht mit ihr reden wie mit meiner Frau, sie
nicht berühren wie meine Frau –« Er verstummte und nippte
wieder an dem Kognak.
»Ich bin gleich wieder
da.« Als Marlen zurückkam, hatte sie ihr silbernes Abendkleid
abgelegt und einen schlichten Hausmantel aus Samt übergezogen, der
ihren Körper wie eine dunkelrote Haut umschloss. Sie setzte sich auf
das Sofa und zog die Füße unter sich. Dann nahm sie das Gespräch
dort auf, wo Leo es abgebrochen hatte. Das mochte er an ihr, sie hörte
aufmerksam zu.
»Und das kannst du
deiner Schwester unmöglich sagen, weil du sie nicht verletzen willst.
Und weil du sie brauchst.«
»Wie gut du mich
kennst. Manchmal glaube ich glatt, wir beide, du und ich, könnten es
miteinander aushalten.« Natürlich wusste er, dass das nicht
stimmte, dass Marlen niemals von einem Polizistengehalt leben könnte,
dass sie ihre rauschenden Feste und nächtlichen Eskapaden vermissen würde.
Dennoch kannte er niemanden, der ihn besser verstand als sie.
»Komm her.« Er
stand auf und ging zum Sofa. Sie streckte einen Arm nach ihm aus und zog
ihn zu sich herunter. Er ließ es geschehen, obwohl er noch Spuren
anderer Männer an ihr zu riechen meinte, Rasierwasser, Leder,
Zigarren, Schweiß. Doch heute Nacht war ihm alles egal.
12
Der Streit entbrannte am nächsten
Morgen. Er rief Ilse von Marlens Wohnung aus an, doch sie hängte ein,
als sie Leos Stimme hörte. Er wusch sich, zog sich an und fuhr nach
Hause, um sich frische Sachen zu holen. Marlen sah ihm von der Wohnungstür
aus nach und hauchte ihm eine Kusshand zu.
Der Weg von ihrer Wohnung in
Wilmersdorf bis in die Emdener Straße war nicht allzu weit, und der
Dienst begann spät. Also genoss er den strammen Morgenspaziergang.
Die Nacht hatte ihm gut getan. Natürlich, Marie war noch immer krank,
und die Fälle Sartorius und Klante waren nicht gelöst, doch
Marlens Körper hatte ihn wenigstens für ein paar Stunden
abgelenkt. Obwohl sie ganz anders war als Dorothea, hatte sie ihn doch
daran erinnert, wie schön es sein konnte, neben einer Frau
aufzuwachen.
Er überquerte
Landwehrkanal und Spree, worauf die eleganten Bürgerhäuser den
einfacheren Quartieren von Moabit wichen. Noch die Turmstraße, wo er
sich bei einem Bäcker zwei frische Schrippen kaufte, dann war er
schon zu Hause. Die Wohnung war leer. Georg war in der Schule, und Ilse
machte vermutlich Besorgungen. Leo rasierte sich, zog frische Wäsche
und einen anderen Anzug an, band sorgfältig die Krawatte und verließ
das Haus. Ihm blieb noch Zeit, im Krankenhaus vorbeizugehen.
Als er auf den Balkon trat,
sah er Ilse vor dem Fenster stehen. Sie hielt ihre Handtasche umklammert
und hatte die Stirn an die Scheibe gelegt. Leise stellte er sich neben
sie. »Wie geht es ihr?«
Ganz langsam drehte sie den
Kopf und sah ihn an. Ihre Augen waren wie Stein.
»Marie?«, fragte
er nur.
»Den Umständen
entsprechend. Nicht besser, nicht schlechter als gestern«, presste
sie mühsam hervor und schaute wieder ins Zimmer.
Marie lag auf der Seite und
blickte zu ihnen herüber, schien sie aber nicht richtig wahrzunehmen.
Sie hatte die kleine Hand unter ihr Gesicht gelegt und atmete mit leicht
geöffnetem Mund. Als sie ihren Vater sah, hob sie sacht die andere
Hand und winkte.
Leo schluckte. »Ilse,
es tut mir leid. Ich hätte vorher anrufen sollen, aber es war
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