Leo Berlin
wir Sie noch einmal befragen müssen.
Eine letzte Frage: Haben Sie Erna Klante in den vergangenen elf Jahren
noch einmal gesehen?«
Dießing schüttelte
den Kopf. »Ich habe dann und wann an sie gedacht, das ist alles.«
Er schluckte. »Wie hat sie gelebt?«
»Am äußersten
Rand der Gesellschaft, wie es bei alternden Prostituierten häufig der
Fall ist.«
»Aus welchem Grund
sollte sich jemand an einer solchen Frau vergreifen?«
»Wenn wir das wüssten,
wären wir vermutlich nicht hier, Herr Dießing. Aber ich danke
Ihnen für Ihre Mithilfe und werde Ihre Aussage so diskret wie möglich
behandeln.« Leo stand auf, Robert folgte seinem Beispiel. Sie
verabschiedeten
sich von Herrn Dießing.
Im Hinausgehen sahen sie eine grauhaarige Frau, die den Kopf aus dem Salon
steckte und ihrem Mann einen fragenden Blick zuwarf.
»Kurt, wer waren die
Herren?«
»Ich habe es eilig,
Liebes, ich erzähle dir heute Abend davon.« Er trat an die
Garderobe, um seinen Mantel zu holen.
»Ich merke doch, dass
etwas nicht stimmt. Du siehst ganz erhitzt aus. Willst du dich nicht
ausruhen?«
»Das geht nicht. Gleich
findet eine wichtige Abstimmung im Reichstag statt, bei der es auf jede
Stimme ankommt. Wir essen heute Abend zu Hause, dann können wir uns
in Ruhe unterhalten.«
Er knöpfte den Mantel zu
und legte einen seidenen Schal um. »Alfred wartet sicher mit dem
Wagen. Bis später.« Er wandte sich zum Gehen.
Kurz vor der Haustür
machte er einen unsicheren Schritt, griff sich an die Brust. Bevor seine
Frau hinzueilen konnte, war er zu Boden gesackt.
13
Unruhig schritt er im
Wohnzimmer auf und ab. Fasste sich an den rechten Arm. Die Taubheit war
noch immer nicht gewichen. Dann und wann bildete er sich ein, eine
Besserung zu spüren, wenn er von irgendetwas abgelenkt wurde. War er
allein, spürte er wieder das Kribbeln, das Gefühl, als gehöre
der Arm einem anderen. Heute Abend würde er Viola auf einer Soirée
in Dahlem sehen. Unwillig schüttelte er den Arm, als könnte er
sich auf diese Weise von dem seltsamen Fremdheitsgefühl befreien.
Er zündete sich eine
duftende Havanna an und trat ans Fenster. Das schöne Juniwetter war
einem feuchten Juli gewichen. Vielleicht vertrug er die ungewöhnliche
Feuchtigkeit nicht, vielleicht litt er unter einem Anfall von
Rheumatismus. War da nicht ein Ziehen im Rücken? Von seiner Mutter
hatte er einen leichten Hang zur Hypochondrie geerbt, mit dem er
gelegentlich sogar kokettierte.
Und dann war sie da,
unvermittelt und heftig traf ihn die Erkenntnis. Jetzt wusste er, woher er
den Mann kannte, den er vor dem Präsidium gesehen hatte. Und auch
seinen Vornamen.
Das Haus war unauffällig,
ein schmales, dreistöckiges Gebäude, das sich nahtlos in die Häuserzeile
fügte. Es gab kein Schild, das verraten hätte, was hinter der
schlichten Holztür mit dem kleinen Buntglasfenster vorging. Leo
klingelte.
»Vielleicht ist es für
die Damen noch zu früh«, meinte Walther und sah auf die Uhr.
»Die kommen schon.«
Und in ebendiesem Moment wurde von innen ein Schlüssel gedreht, und
eine ältere Dame öffnete ihnen die Tür. Nur die allzu kräftige
Schminke, auf die Frauen ihres Alters gewöhnlich verzichteten, wies
auf ihr Gewerbe hin. Kleidung und Frisur waren schlicht und dezent.
»Wir öffnen erst um fünf.« Sie wollte die Tür
wieder schließen, doch Leo schob den Fuß dazwischen und zeigte
seinen Ausweis vor.
»Frau Elvira Blank?
Kommissar Leo Wechsler, das ist Kriminalsekretär Walther. Wir möchten
Ihnen einige Fragen stellen.«
Sie war erfahren genug, um
sich nicht mit der Kriminalpolizei anzulegen, und trat beiseite, um die Männer
hereinzulassen. Der geräumige Flur wirkte plüschiger als die
unscheinbare Fassade, der rote Teppich und die vergoldeten Spiegel etwas
üppiger als in einem gewöhnlichen Bürgerhaus. Das Büro,
in das sie Leo und Robert führte, war hingegen nüchtern
eingerichtet.
»Nehmen Sie bitte
Platz.« Elvira Blank setzte sich und zündete sich eine
Zigarette an, ohne auf Feuer zu warten. Sie stieß eine Rauchwolke
aus und sah die Männer fragend an. »Was führt Sie her? In
meinem Haus gibt es keine Skandale.«
»Wir kommen in einer
Angelegenheit, die bereits länger zurückliegt. Es geht um eine
Angestellte, die vor Jahren für Sie gearbeitet hat. Frau Erna Klante.«
Elvira Blank sah Leo überrascht
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