Leo Berlin
an. »Die Erna? Das ist doch ewig her. Wir haben uns ohne Streit
getrennt. Ich weiß nicht, ob Sie . . . jedenfalls war sie krank, und
ich habe ihr bei der Behandlung ein bisschen unter die Arme gegriffen. Natürlich
konnte ich sie nicht weiterbeschäftigen, das Risiko war einfach zu
groß.«
»Sie litt an Syphilis?«,
fragte Robert geradeheraus und sah, wie Frau Blank ein wenig
zusammenzuckte. Das Wort konnte selbst in diesen Kreisen noch immer Furcht
und Schrecken hervorrufen.
»Ja. Man hatte damals
gerade dieses neue Mittel entdeckt, Salvarsan oder wie das heißt. Es
war nicht unumstritten, aber Erna wollte nicht sterben. Sie hatte Angst.
Da habe ich ihr Geld gegeben.«
»Und sie wurde geheilt?«
»Ich glaube schon.«
»Wann haben Sie sie zum
letzten Mal gesehen?«
Frau Blank überlegte
nicht lange. »Damals, 1911 muss das gewesen sein. Ich nannte ihr den
Namen einer Kollegin, an die sie sich wenden sollte. Ihr Haus ist nicht so
exklusiv wie meins, aber immer noch besser als die Straße. Verstehen
Sie, Erna war nicht nur krank, sie war auch keine zwanzig mehr. Moment, da
fällt mir etwas ein. Vor ein paar Wochen hat jemand nach ihr gefragt.«
»Wer war das?«
»Er hat am Telefon
seinen Namen nicht genannt, wollte nur wissen, ob sie noch hier arbeitet.
Ich sagte, dass sie schon lange nicht mehr bei mir wäre. Vermutlich
ein alter Kunde.«
»Haben Sie ihm auch den
Namen des anderen Bordells genannt?«
»Ja. Es ist schließlich
kein Geheimnis, wo Erna von hier aus hingegangen ist. Aber ob sie noch da
arbeitet –«
Leo beugte sich vor und
verschränkte die Hände. »Das tut jetzt nichts zur Sache.
Wissen Sie, ob sich Freier bei ihr angesteckt haben?«
Frau Blank schüttelte
den Kopf. »Das kann ich nicht sagen. Gehört habe ich jedenfalls
nichts dergleichen. Aber worum geht es überhaupt?« Sie stand
auf und holte aus einem Schrank eine neue Schachtel türkische
Zigaretten. Mit einer eleganten Bewegung nahm sie eine heraus, steckte sie
an und inhalierte tief. Als sie den Rauch ausstieß, wogte er als
üppig duftende Wolke um ihren Kopf.
»Erna Klante wurde
ermordet. In einem Hinterhof in der Linienstraße.«
»In der Linienstraße?
Wie kam sie dorthin? Hat sie etwa da gewohnt?«, fragte Frau Blank
ehrlich überrascht.
»Ja. Und hat in der
Gegend wohl auch ihren letzten wertvollen Besitz verpfändet.«
Leo holte zum dritten Mal an diesem Tag die Brosche hervor und zeigte sie
der Bordellbesitzerin.
Sie nickte. »Ja, die
hat der Erna gehört. Sie war so stolz darauf. Extra für sie
angefertigt, die dürfte nicht billig gewesen sein. Der Kunde hatte
wohl einen Narren an ihr gefressen.«
»Kannten Sie ihn?«,
fragte Robert rasch.
»Ja, aber ich spreche
nicht über meine Kunden«, entgegnete die Bordellbesitzerin
ebenso rasch. »Das ist Ehrensache.«
»Und wenn ich Ihnen
sage, dass der Kunde Kurt Dießing hieß und heute als
Abgeordneter im Reichstag sitzt?«, fragte Leo.
»Dann werde ich Sie
vielsagend anschauen und schweigen.«
»Wir ermitteln in einem
Mordfall und können daher keine Rücksicht nehmen«, sagte
Leo betont offiziell. »Falls Sie sich namentlich an Kunden erinnern,
die mit Erna Klante verkehrt haben, fordere ich Sie auf, die Namen zu
nennen.«
Frau Blank schüttelte
den Kopf. »Herr Kommissar, es ist lange her. Wie soll ich mich da an
jeden einzelnen Kunden erinnern? Und wer welche Mädchen bevorzugt
hat? Sie erwarten zu viel von mir.«
»Könnte Erna
Klante einen Freier angesteckt haben?«, fragte Leo erneut. »Zwischen
dem Zeitpunkt der Ansteckung und der Behandlung ist sicher eine gewisse
Zeit vergangen.«
»Das mag sein. Es täte
mir leid, gehört aber zu den Gefahren, die nicht ganz auszuschließen
sind, wenn man ein Haus wie meins besucht. Natürlich passe ich auf
meine Mädchen auf, aber ich stehe nicht neben dem Bett, wenn Sie mich
verstehen.« Sie drückte energisch ihre Zigarette aus. »Ich
kann Ihnen versichern, dass ich von niemandem weiß, der sich bei der
Erna die Franzosenkrankheit geholt hätte. Aber es gibt eben nicht nur
Stammkunden, die ich persönlich kenne und deren Wegbleiben ich
bemerken würde, sondern auch flüchtige Besucher, die einmal und
nie wieder kommen. Wenn sich einer von denen angesteckt hat –«
Sie zuckte mit den Schultern.
Robert wollte sich nicht
damit abfinden, dass sie Ernas Vergangenheit so nahe gekommen waren
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