Leo Berlin
Georg. Wer ist Fritz Salomon?«
»Der Sohn vom
Gemischtwarenhändler aus der Beusselstraße. Ein ganz ruhiger
Kerl, tut keiner Fliege was zuleide. Er hat nur dagesessen und in die Luft
geschaut, und da hat der Scheller ihn gefragt, was er gerade gesagt hat.
Und der Fritz konnte es Wort für Wort wiederholen. Da ist der
Scheller natürlich sauer geworden und hat was gemurmelt von wegen jüdischer
List und man könnte denen nicht über den Weg trauen und so. Der
Fritz hat nur ruhig gefragt: ›Wäre es Ihnen lieber, wenn ich
nicht zugehört hätte?‹ Da ist der Scheller an die Decke
gegangen. Mann, war der wütend. Hat angefangen von wegen, die Juden
sind an allem schuld, hocken auf ihrem Gold, wollen das Land kaputtmachen,
ich hab das gar nicht richtig kapiert. Irgendwann wurde es mir einfach zu
dumm und ich hab leise vor mich hin gesagt: ›Müssen das aber
reiche Gemischtwarenhändler sein.‹ Und schon hat er mir eine
runtergehauen.«
Leo legte ihm die Hand auf
den Arm. »Nicht gerade klug, aber Recht hattest du schon. Was
Scheller sagt, ist falsch und dumm. Aber du musst aufpassen, was du tust,
sonst wirst du es noch schwerer bei ihm haben.«
»Hab ich auch so.«
»Trotzdem, das mit der
Ohrfeige kann ich nicht dulden. Ich gehe gleich mit zur Schule und rede
mit ihm.«
Georg sah ihn ein wenig
zweifelnd an. »Und wenn es dadurch noch schlimmer wird?«
»Das wird es
hoffentlich nicht.« Er war sich allerdings ganz und gar nicht
sicher.
Das Gespräch verlief
kurz und unerfreulich. Ludwig Scheller sah ihn von oben herab an, soweit
das möglich war, da Leo ihn weit überragte. Er kehrte gern den
Akademiker heraus, indem er lateinische Zitate in seine Rede einstreute,
wenngleich er genau wusste, dass sein Gegenüber sie nicht verstand.
» Quae nocent, docent , Herr Wechsler. Ich dulde keine
frechen Bemerkungen in meinem Unterricht, schon gar nicht, wenn sie als
Kritik an meinen Äußerungen zu verstehen sind. Wer sich nicht
an diese Maxime hält, bekommt es zu spüren.«
»Und ich wünsche
nicht, dass mein Sohn aussieht, als hätte er sich auf der Straße
geprügelt, wenn er aus Ihrem Unterricht kommt, Herr Scheller. Ich weiß,
dass Sie ihm keine Sympathie entgegenbringen, aber ich verlange eine
gerechte Behandlung. Von Ihren Äußerungen über den Schüler
Salomon ganz zu schweigen.«
»Aha, der Herr Sohn erzählt
zu Hause also gern, was im Unterricht vorgeht. Hoffentlich weiß er
auch über den Lehrstoff so genau Bescheid.«
Leo wusste, dass man ihn
dringend im Präsidium erwartete, und kürzte das Gespräch
daher ab. »Nur eins: Wenn ich noch einmal höre, dass Sie Ihre
Schüler derart schikanieren, wende ich mich an Ihren Rektor.«
Der wiederum ein alter Freund von Ernst Gennat war. Was Scheller auch
wusste.
Ellen und Viola Cramer
standen vor dem ehrfurchtgebietenden Gebäude und schauten an der
roten Fassade hinauf.
»Meinst du wirklich,
wir sollen da reingehen, Mama?«, fragte Viola etwas unschlüssig.
Ihr war nicht ganz wohl bei der Sache. Andererseits war sie ins Grübeln
gekommen, als ihre Mutter berichtete, dass sie Max Edel kurz vor dem Mord
in der Nähe von Sartorius’ Wohnung gesehen hatte.
»Ja, es lässt mir
sonst keine Ruhe. Bringen wir es hinter uns.«
Sie betraten die
Eingangshalle und erkundigten sich beim Pförtner nach der
Mordkommission, die den Fall Gabriel Sartorius bearbeitete. Der Mann
meldete sie an und schickte sie durch eine Glastür ins Morddezernat,
wo sie zögernd einen hohen, kahlen Flur entlanggingen, bis eine Tür
geöffnet wurde und ein gepflegter Herr den Kopf herausstreckte.
»Frau Cramer und Fräulein Cramer?«, fragte er und ließ
sie eintreten. »Mein Name ist Herbert von Malchow,
Kriminalbezirkssekretär. Ich bin mit diesem Fall betraut. Nehmen Sie
bitte Platz.«
Er führte sie ins
Vorzimmer. Wechsler war zwar nicht da, aber es schien doch zu riskant, sie
einfach in dessen eigenem Büro zu befragen.
Ellen Cramer war beeindruckt
von dem freundlichen Empfang, sie hatte sich das Präsidium sehr viel
abweisender vorgestellt. »Ist Kommissar Wechsler nicht da? Ich
glaube, so hieß der Beamte, der mich vor einer Weile aufgesucht hat.«
»Bedauere, der
Kommissar ist noch nicht im Hause. Sie können aber mit mir über
alles sprechen, ich werde es umgehend an ihn weiterleiten, Frau Cramer.«
Er nahm einen Notizblock und einen
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