Leo Berlin
Platz an. Er hatte sich bereit erklärt, ihn in seiner Kanzlei
zu empfangen, obwohl es ihm sichtbar unangenehm war, dass die
Kriminalpolizei ihn befragen wollte. Nervös wirkte er allerdings
nicht, sondern gab sich kühl bis in die Fingerspitzen. Er galt als
ausgezeichneter Wirtschaftsanwalt, wie Robert erfahren hatte, und vertrat
hauptsächlich Banken und große Firmen. Sein grauer Maßanzug
und das vorzeitig ergraute Haar verströmten ebenfalls kühle Zurückhaltung.
Der einzige Makel war der Schmiss, der sich schräg über die
rechte Wange zog.
»Nun, was führt
Sie zu mir?«
»Ich komme gleich zur
Sache. Es geht um Ihre Schwester Verena.«
Ein Schatten huschte über
Moltkes Gesicht. »Ich pflege keinen Umgang mehr mit ihr.«
»Das ist mir bereits
bekannt. Wir haben sie vor einer Weile in der Klinik aufgesucht. Man sagte
uns dort, dass sie nie Besuch erhält.« Das klang
vorwurfsvoller, als er beabsichtigt hatte.
»Warum waren Sie dort?
Sie sind doch nicht von der Fürsorge«, versetzte Moltke ein
wenig pikiert. »Ich wüsste nicht, dass die Kriminalpolizei
kontrolliert, wer kranke Verwandte besucht und wer nicht.«
»So war es nicht
gemeint«, versicherte Robert schnell. »Wir waren bei Ihrer
Schwester, da wir im Mordfall Sartorius ermitteln und herausfanden, dass
Ihre Schwester ihn näher gekannt hat. Vermutlich hat er sie erstmals
mit Kokain in Berührung gebracht. Allerdings fanden wir sie nicht
vernehmungsfähig vor. Jetzt haben wir neue Erkenntnisse, und in
diesem Zusammenhang wüsste ich gern, ob man in der Vergangenheit
versucht hat, Sie oder Ihre Schwester zu erpressen.«
Moltke zündete sich
gelassen eine Zigarette an und blies das Streichholz aus. »Wie
kommen Sie darauf?«
»Uns liegen
entsprechende Hinweise vor«, entgegnete Robert betont vage, da er es
mit einem gewieften Juristen zu tun hatte, der unerwünschten Fragen
geschickt auszuweichen wusste. »Können Sie bestätigen,
dass Verena Herrn Gabriel Sartorius kannte?«
»Diesen Wunderheiler?«,
fragte Moltke spöttisch und inhalierte tief. »Natürlich,
sie hat ständig von ihm geredet. Sie rannte dauernd hin, um sich mit
irgendwelchem Hokuspokus behandeln zu lassen. Edelsteine, Pendel,
Geistheilung, was auch immer. Mich hat das damals schon nicht
interessiert.«
»Sie wissen aber, dass
er ermordet wurde?«
»Es stand ja in allen
Zeitungen.«
Die aalglatte Fassade ging
Robert allmählich auf die Nerven. »Wie gesagt, uns liegen
Hinweise vor, dass Sartorius einige Patienten oder deren Familien erpresst
hat. Oder dass er dies zumindest plante. War das auch bei Ihnen der Fall?«
»Ich habe den Herrn
überhaupt nicht gekannt. Bin ihm nie begegnet«, meinte Moltke
und klopfte die Zigarettenasche in einer eleganten Silberschale ab.
»Damit ist meine Frage
nicht beantwortet«, insistierte Robert. »Es wäre ja
denkbar, dass es einen derartigen Versuch gab, ohne dass Sie wussten, wer
dahinter steckt.«
»Wenn Sie es unbedingt
wissen müssen: Man hat es tatsächlich einmal versucht. Und der
Erpresser ist damit gegen eine Wand gelaufen«, erklärte Martin
Moltke befriedigt. »Ich lasse mich nicht erpressen, das habe ich
meinen Eltern auch gesagt. Sollen die Zeitungen doch darüber
berichten. Meiner Kanzlei schadet es nicht, wenn meine Schwester sich um
den Verstand kokst. Das tun heutzutage viele.«
Robert konnte sich angesichts
dieser lieblosen Bemerkung nur mühsam beherrschen. »Und was
haben Ihre Eltern dazu gesagt?«
»Sie waren nicht
erfreut, verlassen sich aber gewöhnlich auf meinen Rat. So auch in
diesem Fall.«
»Wie genau lief dieser
Fall denn ab, Herr Moltke?«
»Vor einiger Zeit
erhielt ich einen anonymen Brief, den ein Straßenjunge in der
Kanzlei abgab. Es war kurz nachdem Verena in die Klinik gekommen war. Der
Brief war auf gutem Papier mit der Maschine getippt und in korrektem
Deutsch abgefasst. Keine orthographischen Fehler und so weiter.«
»Erinnern Sie sich an
den Wortlaut?«
»In etwa: Wenn Ihnen
daran gelegen ist, dass niemand von der misslichen Lage Ihrer Schwester
erfährt, sollte Ihnen das schon etwas wert sein. Ich denke an einen
Betrag von 5000 Mark. Überlegen Sie es sich gut, ich melde mich
wieder bei Ihnen.«
Wie unverfroren, dachte
Robert, er hatte sie zum Rauschgiftgenuss verführt, in die Sucht
getrieben und dann ihre Familie damit zu erpressen versucht.
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