Leo Berlin
vermutlich um Viktor
von Dreesen, einen Kaufhausbesitzer, der vor einem Jahr Selbstmord
begangen hat. Ich fürchte, wir müssen die Familie befragen, auch
wenn ich solche Geschichten ungern wieder aufrühre. Aber wir haben
endlich etwas Neues in der Hand!«
»Und wie willst du mit
diesem Kode vorgehen?«
»Ich fahre noch einmal
in Sartorius’ Wohnung und schaue mir alles an, was wir nicht
mitgenommen haben. Vor allem die Bücher. Er kann durchaus ein Buch
als Schlüssel benutzt haben.«
»Klingt wie aus einem
Roman«, sagte Robert skeptisch.
»Mag sein, aber
Sartorius war eine schillernde Persönlichkeit mit einem Hang zu Kunst
und Esoterik, da kann man so etwas nicht ausschließen.«
»Soll ich mitkommen?«
Leo schüttelte den Kopf.
»Nein, für dich habe ich leider etwas Unerfreulicheres
vorgesehen. Familie von Dreesen. Ich kann von Malchow unmöglich
dorthin gehen lassen, mit seinem mangelnden Taktgefühl zerschlägt
er höchstens Porzellan. Tut mir leid«, fügte er hinzu, als
er Roberts gequälten Blick bemerkte. »Ich nehme von Malchow mit
in die Nussbaumallee, da habe ich ihn wenigstens unter Kontrolle.«
»Wie geht es Marie?«,
fragte Robert.
Leo lächelte. »Besser.
Sie darf nächste Woche nach Hause. Morgen kommt sie auf eine normale
Station, dann darf ich ihr auch die Bücher bringen.«
»Freut mich. Ich schaue
auch noch mal bei ihr vorbei.«
Kurz darauf traf Berns ein.
»Von Malchow noch nicht da? Ich hab ihn doch heute Morgen schon hier
gesehen. Egal, hier sind die Ergebnisse der Befragungen von gestern.«
Er legte Leo einige getippte Seiten hin. »Sieht besser aus, als es
ist. Wir laufen immer wieder gegen eine Wand. Sicher, ein paar Leute haben
bestätigt, dass Blatzheim Ernas Stammfreier war, aber das wussten wir
ja schon. Ich habe in Dresden nachfragen lassen, sein Alibi für den
Tatzeitpunkt wurde bestätigt. Natürlich kann es ein Auftragsmord
gewesen sein, aber –« Er hob zweifelnd die Hände.
»Nein, nein, ganz
sicher nicht«, sagte Leo. »Der Mann, der in der ›Roten
Hand‹ nach ihr gefragt hat und mit dem man sie zweimal gesehen hat,
ist ein und derselbe. Und er ist der Mörder.« Die Überzeugung
in seiner Stimme war geradezu ansteckend.
»Und jetzt, Chef?«,
fragte Berns.
Leo setzte ihn über die
neuen Entwicklungen im Fall Sartorius in Kenntnis. Berns wirkte ein wenig
erstaunt. »Sollen wir die Klante erst mal auf Eis legen?«
»Wenn Sie es so ausdrücken
möchten, Berns. So ganz stimmt das allerdings auch nicht.« Leo
überlegte kurz, dann entschloss er sich, Berns von seinem ursprünglichen
Verdacht zu erzählen, nach dem die beiden Fälle zusammenhingen.
»Aber was haben
Sartorius und die Klante miteinander zu tun?«, fragte Berns wenig
überzeugt. »Wir haben keinerlei Anhaltspunkte dafür
gefunden.« Er hielt wenig von kriminalistischem Instinkt, sondern
verließ sich lieber auf greifbare Tatsachen wie Fingerabdrücke,
Fußspuren und Ähnliches.
»Das weiß ich
nicht. Vielleicht gar nichts. Aber der Mörder hat womöglich
beide gekannt. Dann wäre er selbst die Verbindung«, gab Leo zu
bedenken. »Wir konzentrieren uns jetzt auf die Liste. Berns, Sie
fahren mit Walther zu Familie von Dreesen, aber bitte nicht ohne
Voranmeldung. Ich hinterlasse eine Nachricht bei Fräulein Meinelt,
damit sie von Malchow in die Nussbaumallee schickt. Ich fahre schon einmal
vor.«
Im Flur watschelte Ernst
Gennat auf ihn zu. »Wechsler, kommen Sie doch bitte kurz in mein Büro.«
Er wischte sich über die
Stirn, sein Gesicht war bei der sommerlichen Wärme ganz rot
angelaufen. Gesund kann das nicht sein, dachte Leo bei sich, als er Gennat
in dessen Büro folgte. Der ältere Beamte schob einen halb vollen
Kuchenteller beiseite und bot Leo einen Platz an, während er selbst
sich schwer atmend auf dem Sofa niederließ. »So, mein Junge,
was war das nun für eine Geschichte mit diesem Dießing?«
Leo, der wie auf heißen
Kohlen saß, weil er unbedingt Sartorius’ Wohnung nach dem
Kodeschlüssel durchsuchen wollte, erklärte die Angelegenheit,
ohne von Malchows Namen zu erwähnen.
»Sie wundern sich
sicher, warum ich Sie überhaupt darauf anspreche. Aber die Sache
macht natürlich überall die Runde, und es gibt Leute, die um
jeden Preis nach oben wollen. Und Sie daher nicht im besten Licht
erscheinen lassen. Also geben Sie Acht«, sagte Gennat
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