Leo Berlin
»Und
weiter?«
»Ich habe nicht darauf
reagiert. Eine Woche später erhielt ich einen Anruf. Eine Männerstimme,
die seltsam gedämpft klang, fragte mich ganz diskret, ob ich Post
erhalten hätte. Er hatte wohl ein Tuch um den Hörer gewickelt.
Ich erklärte ihm, meine Familie werde nicht zahlen, da Verena für
mich nicht länger zur Familie gehöre. Danach hat er sich nicht
mehr bei mir gemeldet.«
»Vermutlich hat er es
nicht nur bei Ihnen probiert.«
»Über andere Fälle
ist mir nichts bekannt. Das Telefongespräch war der einzige persönliche
Kontakt zwischen mir und diesem Herrn. Um Ihrer Frage zuvorzukommen, ich
bin nicht zur Polizei gegangen, da er mich danach in Ruhe gelassen hat.«
Robert überlegte, wie er
die selbstzufriedene Fassade durchbrechen könnte. Gewiss, der Mann
hatte Sartorius allem Anschein nach nicht angerührt, doch es machte
ihn zornig, dass er so gleichgültig über das Schicksal seiner
Schwester sprach. Ein Schicksal, dem Robert selbst nur knapp entgangen
war.
Er stand auf und ging zur Tür,
ohne Moltke die Hand zu geben. Dann drehte er sich noch einmal um. »Vielen
Dank für Ihre Aussage. Aber eins möchte ich nicht verschweigen:
Nicht nur der Erpressungsversuch ist unmoralisch, sondern auch Ihr eigenes
Verhalten. Ihre gleichgültige Haltung gegenüber Ihrer Schwester,
für die Sie bezahlen, ohne sich je um sie zu kümmern.«
Mit diesen Worten trat er ins
Vorzimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Draußen verfluchte
er sich. Als Polizeibeamter war er gehalten, sachlich und nüchtern
aufzutreten und keine unangebrachten Gefühlsregungen zu zeigen. Leo hätte
ihn bestimmt darauf hingewiesen, obwohl auch er nicht gegen persönliche
Empfindungen gefeit war.
Andererseits hatte er
erfahren, was er erfahren wollte. Moltke kam als Täter nicht in
Frage, da war er sicher. Aber er ahnte dennoch, dass Leo auf einer
ungeheuer wichtigen Spur war.
Rudolf Cramer, der erst sehr
spät nach Hause gekommen war, als Frau und Tochter bereits schliefen,
erfuhr beim Frühstück von dem eigenartigen Besuch. Nachdem er zu
Ende gegessen hatte, betupfte er sich den Mund mit der Serviette, lehnte
sich zurück und schaute abwechselnd von Ellen zu Viola.
»Ihr wollt mir also
weismachen, dass der angesehene Knopffabrikant Max Edel ohne Ankündigung
hier aufgetaucht ist und mir nichts, dir nichts um Violas Hand angehalten
hat?«
Seine Frau nickte. »Ja,
dabei kennen wir ihn kaum. Er aber tat, als kenne er Viola schon ewig. Als
hätten sie regelmäßigen Umgang gepflegt.«
Er schaute seine Tochter prüfend
an. »Und du sagst, es sei nichts daran?«
Entrüstet wollte sie
aufstehen. »Papa, wenn ich es dir doch sage. Wir haben uns hier auf
dem Silvesterball kennen gelernt. Danach sind wir uns gelegentlich
begegnet, das war alles. Von Spaziergängen oder anderen Verabredungen
war nie die Rede. Glaubst du mir etwa nicht? Sieh dir Mamas Lippe an.«
Ellen Cramers Mund war noch immer leicht geschwollen.
Rudolf legte ihr
beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Bleib sitzen, Liebes, natürlich
glaube ich dir. Aber Max Edel ist ein unbescholtener Mann, der nur in den
besten Kreisen verkehrt. Warum sollte er sich einen derartigen Auftritt
leisten?«
»Das gestern war nicht
alles, Papa«, warf Viola ein. Auf seinen erstaunten Blick hin
berichtete sie von dem Zwischenfall bei der Soirée, als Edel von
einem Spaziergang gesprochen hatte, von dem sie nichts wusste, und einem
Brief, den sie nie erhalten hatte.
»Ist der Mann denn von
Sinnen?«, rief Rudolf ungehalten. »Ich werde ihn zur Rede
stellen, falls er uns weiter belästigt.«
Ellen biss sich auf die
Lippe, schien dann einen plötzlichen Entschluss zu fassen. »Viola,
würdest du uns bitte allein lassen?«
Ihre Tochter sah sie
verwundert an, stand dann aber auf und verließ das Speisezimmer.
»Rudolf, ich muss dir
etwas gestehen. Erinnerst du dich an die beiden Herren, die irgendwann im
Juni hier waren? Du kanntest sie nicht, sie verließen gerade das
Haus, als du kamst.«
»Ja und? Ich glaube, du
sagtest etwas von einem Wohltätigkeitsverein, der für
Kindererholungsheime sammelt.«
Ellen spielte mit ihrem
Kaffeelöffel und wich seinem Blick aus. »Das war gelogen. Es
waren zwei Kriminalbeamte, die in einem Mordfall ermitteln.«
»Wie bitte?«
»Ja, es ging um den
Mord an dem Heiler Gabriel Sartorius, es stand doch groß
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