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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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da er anscheinend der Bekannte irgendeines Bekannten
     war, aber sie wollte ihm auch nicht nachspionieren.       
    Danach hatten sie sich einmal
     zum Tee verabredet, was Leo gar nicht gemerkt hatte, und er hatte ihr
     einen kleinen dezenten Blumenstrauß überreicht, den sie ihrem
     Bruder gegenüber als Geschenk an sich selbst ausgegeben hatte. Die nächste
     Verabredung war schon der geplatzte Sonntagsspaziergang gewesen.
    Nervös schaute sie
     erneut aus dem Fenster. Und da war er tatsächlich, hob den Kopf, sah
     sie am Fenster stehen und winkte. Sie machte ihm ein Zeichen, holte rasch
     ihre Handtasche, zog die Wohnungstür hinter sich zu und sprang
     beinahe die Treppe hinunter.
    Eine Frau fegte gerade den
     Hausflur. Leo grüßte freundlich, wies sich aber nicht aus. Er
     wollte ganz ungestört bleiben. Sartorius’ Wohnung war von der
     Polizei noch nicht freigegeben worden, zum Glück, wie er nun dachte,
     sonst hätte man schon sämtliche Besitztümer abgeholt,
     verschenkt und verkauft, womit vermutlich jede Aussicht, die Liste zu
     entschlüsseln, dahingewesen wäre. Außer dem Geräusch
     des Besens auf den Fliesen war im Haus kein Laut zu hören.
    Er ging in den ersten Stock
     hinauf und bewunderte wie schon beim ersten Mal das schöne hölzerne
     Geländer und die erlesenen Stuckarbeiten. Er entfernte das Siegel,
     schloss die Tür auf und betrat die Wohnung, in der eine beinahe
     greifbare Stille herrschte. Im Wohnzimmer zeugte nur noch die
     Kreidemarkierung von dem Verbrechen, das hier geschehen war, die Mordwaffe
     befand sich bei den Asservaten im Präsidium. Er zog sein Jackett aus
     und hängte es über eine Stuhllehne. Dann sah er sich um. In
     diesem Raum gab es nur wenige, dafür umso prächtigere Bücher,
     die aufgeschlagen in einem großen Regal standen. Es handelte sich um
     kostbare chinesische Bände, in Seide gebunden und von Hand
     illustriert. Er hob einen davon heraus, legte ihn auf einen Tisch und blätterte
     vorsichtig darin, obwohl er annahm, dass Sartorius kein Chinesisch gekonnt
     und deshalb den Kode auch nicht nach diesem Buch gewählt hatte.
     Hoffentlich, fügte er in Gedanken hinzu, sonst mussten sie jemanden
     auftreiben, der die Sprache beherrschte.
    Die Abbildungen ließen
     auf ein medizinisches Werk schließen. Eine menschliche Gestalt war
     wie eine Landkarte beschriftet, sämtliche Körperteile waren mit
     Punkten versehen, von denen Linien zu inneren Organen führten.
     Faszinierend, dachte er, aber leider nicht sehr hilfreich.
    Leo stellte das Buch ins
     Regal zurück. Es gab weitere chinesische Nachschlagewerke, dazu noch
     einige, die indischen und persischen Ursprungs zu sein schienen. Hier kam
     er nicht weiter.
    Er ging ins Arbeitszimmer,
     aus dem sie die Dankesschreiben der Patienten und Sartorius’
     Finanzunterlagen mitgenommen hatten. Der umfangreichen Bibliothek hatten
     sie damals keine große Beachtung geschenkt. Aber wo beginnen?
    Langsam ging er an den
     Regalreihen entlang. Ältere französische Literatur, Montaigne,
     Pascal, verschiedene Briefwechsel. Erotische Literatur. Clelands ›Fanny
     Hill‹, de Sade, Sacher-Masochs ›Venus im Pelz‹ , daneben anonyme Werke, was ihn an
     die Bilder im Schlafzimmer erinnerte.
    Doch der Tote schien sich
     auch für Anthropologie interessiert zu haben, außerdem
     entdeckte Leo Werke über Edelsteine, Wünschelrutengänger,
     Hypnose und Mesmerismus, Akupunktur, Homöopathie, eine bunte Mischung
     aus Okkultismus und Wissenschaft. Doch wo sollte er anfangen? Er konnte
     unmöglich die ganze Bibliothek durchblättern. Und wenn der Schlüssel
     zum Kode nun ganz woanders verborgen lag?
    »Bitte, Frau von
     Dreesen, beruhigen Sie sich doch«, sagte Robert und hielt ihr ein
     Taschentuch hin, zum Glück hatte er am Morgen ein sauberes
     eingesteckt. »Wir tun nur unsere Pflicht.«
    Die junge Frau, sie war nicht
     älter als Anfang dreißig, schüttelte den Kopf und machte
     eine abwehrende Handbewegung. Dann sagte sie mit erstickter Stimme:
     »Das weiß ich. Ich hatte gehofft, ich könnte gefasst
     bleiben, aber es ist noch so frisch. Ein Jahr ist nicht viel, wenn man
     einen geliebten Menschen verloren hat.«
    Robert und Berns, der sich
     noch viel unbehaglicher fühlte, sahen einander an. Wie viel mochte
     die arme Frau wissen?
    »Keine Sorge, wir
     wollen den Tod Ihres Mannes nicht noch einmal öffentlich aufrollen.
     Es geht uns allerdings um die genauen Umstände, die ihn zu dieser Tat
    

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