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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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nachmittags?«
    Sie wurde rot, aber nicht vor
     Scham, sondern vor Wut. »Was soll das heißen? Stehe ich etwa
     unter Verdacht?«
    »Nein, nein«,
     beschwichtigte Robert sie rasch. »Wir müssen nur alle
     Eventualitäten ausschließen, Frau von Dreesen. Alle
     Erpressungsopfer und deren Angehörige zählen zu den möglichen
     Tätern, ein anderes Motiv ist uns bisher nicht bekannt.«
    Frau von Dreesen schluckte.
     »Ich müsste in meinen Kalender schauen, um Ihnen zu sagen, wo
     ich an diesem Tag gewesen bin«, sagte sie bemüht. »Einen
     Moment, bitte.« Sie holte eine Handtasche und zog einen eleganten
     Taschenkalender hervor. »Am 5. Juni war ich mit meinen Kindern und
     der Nanny im Zoo. Den ganzen Nachmittag.«
    Dem war nichts hinzuzufügen.
     Die Kriminalbeamten bedankten sich und standen auf. Frau von Dreesen führte
     sie persönlich zur Haustür, wo sie einen Augenblick zögerte.
    »Für Ihre
     Diskretion wäre ich wirklich dankbar. Vielleicht können Sie
     nicht verstehen, weshalb mir noch so viel an meinem Mann liegt, dass ich
     sein Andenken bewahren möchte, aber es geht auch um meine Kinder. Und
     den Ruf der Firma. Sie sollen nicht auch noch alles andere verlieren.«
    »Wir werden uns bemühen«,
     versicherte Robert.
    Er wartete eine Weile ab.
     Genoss die Vorfreude. Rauchte in aller Ruhe eine Zigarre. Kam sich
     ungeheuer mächtig vor. Dann stieg er aus. Er klopfte auf die Tasche
     des Mantels. Flach und glatt. Er schob die Hand hinein. Kühl und
     geschmeidig. Genau richtig.
    Er bog in die
     Nussbaumallee, getrieben von der Gewissheit, dass dies der einzige Weg
     war. »Herbert, Herbert!«, hatten sie gerufen. Ihn angefeuert,
     als er Max die Hose öffnete, ihn zum Bett stieß. Dieser Mann
     stand für alle, die ihm das angetan, die ihn zu etwas Unerträglichem
     gezwungen hatten, die gelacht hatten über seine Scham, die ihn in die
     Arme einer Frau gedrängt hatten, die das Unheil in seinen Körper
     säte. Er spürte die tiefe Gewissheit, dass er sich an diesem Tag
     ein für alle Mal davon lösen, dass er noch heute zu Viola fahren
     und ihr als freier Mann gegenübertreten konnte.        
    Max Edel stieß das
     Gartentor auf und schritt auf die offene Haustür zu. Der Boden im
     Flur war feucht, doch es war niemand zu sehen.
    Leo war einer Eingebung
     gefolgt und hatte sich die Trittleiter aus der Ecke hinter der Zimmertür
     geholt. Er stellte sie vor das Regal, stieg hinauf und fuhr mit der Hand
     über die Oberseiten der Bücher. Staub. Aber darum ging es ihm
     nicht. Reihe um Reihe arbeitete er sich vor. Dann kletterte er hinunter
     und stellte die Leiter beiseite, nahm sich die unteren Buchreihen vor. Und
     endlich fühlte er etwas. Es war hinter die Reihe geschoben worden und
     überragte ein wenig die Bücher, die davor standen.
    Er nahm die Bände heraus
     und zog ein schmales Heft hervor. Nichts Geheimnisvolles, nur ein
     liniertes Schreibheft, wie Kinder es in der Schule benutzten. Leo wollte
     es gerade aufschlagen, als es an der Wohnungstür klopfte.
    Er stieß einen leisen
     Fluch aus, schob das Heft in die Innentasche seines Jacketts und ging zur
     Tür. Niemand da. Vielleicht die Putzfrau. Er zuckte mit den
     Schultern, wandte sich um und wollte wieder hineingehen, als ihn jemand
     abrupt in die Wohnung stieß, die Tür hinter sich zutrat und ihn
     in den Schwitzkasten nahm. Der Angreifer sprach kein Wort, nur sein Atem
     war zu hören. Die Überraschung war so groß, dass Leos
     Instinkt aussetzte. Rauer Stoff, vielleicht Tweed, kratzte über seine
     Wange.
    Die Luft wurde knapp, bunte
     Funken sprühten vor seinen Augen. Leo spürte einen brennenden
     Schmerz in der linken Körperhälfte, dann schlug seine Schläfe
     gegen etwas Hartes, und er stürzte kopfüber ins Leere.

 
    19
    Sie saßen in einem
     kleinen Café und unterhielten sich. Ilse hatte sich beim
     Hereinkommen ein wenig unsicher umgeschaut, da sie es nicht gewöhnt
     war, in Herrenbegleitung auszugehen, aber das Lokal wirkte seriös und
     nicht zu teuer. Eine gute Wahl.
    »Was möchten Sie
     trinken?«, fragte Herr Schneider freundlich.
    »Einen Kaffee, bitte.
     Man bekommt heutzutage so selten guten Kaffee.«
    »Das stimmt. Aber die
     Zeiten werden wieder besser, glauben Sie mir.« Dann beugte er sich
     ein wenig vor. »Ich freue mich sehr, dass Sie Zeit für mich
     hatten. Was sagten Sie doch gleich, wo Sie arbeiten?«
    Ilse sah etwas verlegen vor
     sich auf den Tisch. »Ich . . . ich führe meinem

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