Leo Berlin
Bruder den
Haushalt. Er ist verwitwet und hat zwei Kinder.«
»Das braucht Ihnen doch
nicht peinlich zu sein, Fräulein Ilse.« Sie wurde rot, als er
ihren Vornamen aussprach. »Ich finde es sehr lobenswert, wie soll
ein Mann mit zwei Kindern allein zurechtkommen?«
Sie nickte ein wenig zögernd,
wäre beinahe damit herausgeplatzt, dass sie sich manchmal dennoch
unglücklich fühlte, weil ihr eigenes Leben an ihr vorbeizuziehen
schien. Doch das war kein Gesprächsstoff für die zweite
Verabredung.
»Und was sind Sie von
Beruf?«
»Ich bin Kaufmann.
Nachlässe, Geschäftsauflösungen und Ähnliches, An- und
Verkauf, was sich gerade ergibt. In der heutigen Zeit muss man anpassungsfähig
sein, rasch handeln, die Gelegenheit nutzen. Aber das finden Sie sicher
gar nicht so interessant.« Er winkte der Kellnerin und bestellte
Kuchen. »Den Käsekuchen, der ist immer so gut hier.«
»Kommen Sie öfter
her?«
»Dann und wann, wenn
ich in der Nähe bin. Der Kuchen ist wirklich ausgezeichnet.«
Sie kamen irgendwie auf das
Thema Tiere, und Herr Schneider erzählte mit leuchtenden Augen von
seinen drei Schäferhunden. Ilse fühlte sich entspannt wie seit
langem nicht mehr und ließ sich den köstlichen Käsekuchen
auf der Zunge zergehen.
Herbert von Malchow stieg aus
dem Taxi. Da kein Dienstwagen mehr verfügbar gewesen war und er
keineswegs vorhatte, mit Hinz und Kunz in der Elektrischen nach
Charlottenburg zu fahren, hatte er das Fahrgeld aus eigener Tasche
bezahlt. Warum musste Wechsler unbedingt noch einmal in die Wohnung des
Heilers? Im Büro wusste anscheinend jeder mehr als er, die Kollegen
schienen ihn von dem Fall auszuschließen.
Daher war auch die Aussicht
auf eine gründliche Durchsuchung mit Leo Wechsler wenig erfreulich.
Seit er die Sache mit Dießing an die Presse gegeben hatte, war ihr
Verhältnis noch unterkühlter als zuvor. Natürlich war die
Unterstellung, er habe es für Geld getan, blanker Unsinn. Das hatte
er nicht nötig, da er von seinem Vater einen monatlichen Unterhalt
erhielt, der sein mageres Gehalt wohltuend ergänzte und die Tatsache
ausgleichen sollte, dass sein ältester Bruder das Gut übernommen
hatte. Nein, er hatte einfach die Gelegenheit und die Bekanntschaft mit
einem Reporter aus dem Zeitungsviertel genutzt, um Wechsler, der sich gern
allwissend gebärdete, eins auszuwischen. Wechsler, der von ganz unten
gekommen war und keinen Hehl aus seiner einfachen Herkunft machte. Der von
Malchow unterschwellig vorzuwerfen schien, dass der es leichter gehabt
hatte, weil er die richtigen Leute kannte und die Karriereleiter schneller
erklimmen würde als er selbst.
Von Malchow wischte sich ein
Stäubchen vom Ärmel. So einfach hatte er es nun auch wieder
nicht gehabt. Nach seinem eher kurzen Kriegseinsatz in der Etappe hatte er
vom Militär fürs Leben genug und musste sich als dritter Sohn
eines Gutsbesitzers nach einer neuen Beschäftigung umsehen. Den
Besitz hatte sein ältester Bruder Alfred übernommen, während
Dietrich erfolgreich die Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte. Was also
blieb für ihn übrig?
Bei einer Festlichkeit im
Hause seiner Eltern hatte er Theodor von Fritzsche kennen gelernt, der ihm
von seiner Kriminalarbeit in Berlin erzählte. Es hatte spannend
geklungen, nach Großstadt und Abenteuer, und er hatte gegen den
Willen seines Vaters beschlossen, die Beamtenlaufbahn bei der
Kriminalpolizei einzuschlagen. Sein Vater hatte sich letztlich in das
Unvermeidliche gefügt, nachdem von Fritzsche ihm bestätigt
hatte, dass es unter den Berliner Kripoleuten zahlreiche Aristokraten gab.
So weit, so schlecht. Denn er
hatte diese Tätigkeit gewaltig unterschätzt. Sie bestand aus
viel Kleinarbeit, endlosen Befragungen, Aktenwälzen. Seine Kollegen
konnten sich über einen Fingernagel am Tatort mehr erregen als über
die Tagespolitik. Dazu die unangenehmen Leute, mit denen er ständig
zu tun hatte. Nein, das hatte er sich anders vorgestellt, konnte aber
nicht mehr zurück, diese Genugtuung wollte er seinem Vater dann doch
nicht gönnen.
Von Malchow wischte sich
über die Stirn, als wollte er die unangenehmen Gedanken vertreiben,
und blieb vor dem Gartentor der Villa stehen. Er schaute sich kurz das
Haus an, da er damals nicht mit am Tatort gewesen war. Das Anwesen könnte
ihm auch gefallen. Der Tote hatte bei der Wahl seines Domizils zweifellos
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