Leo Berlin
veranlasst haben. Wir haben den begründeten Verdacht, dass Ihr
verstorbener Mann erpresst wurde.«
Bei diesen Worten fuhr sie
hoch, wollte es schon abstreiten, doch ihr Gesichtsausdruck verriet, dass
er ins Schwarze getroffen hatte.
»Sie haben bei der
Untersuchung damals nichts dergleichen erwähnt, aber wir ermitteln im
Mordfall Gabriel Sartorius und haben Hinweise darauf, dass er seine
Patienten mit ihren persönlichen Neigungen und Schwächen
erpresste. Mit den Problemen, die sie überhaupt erst zu ihm geführt
haben.« Er sah Frau von Dreesen prüfend an. »Habe ich
Recht?«
Sie nickte. »Ich . . .
ich habe es nicht erwähnt, weil es Viktor auch nicht wieder lebendig
gemacht hätte. Außerdem –«, sie biss sich auf die
Lippen, »war es mir unangenehm. Ich wollte nicht, dass die Leute es
erfahren und mich und die Kinder ansehen, als ob . . . Da er sich das
Leben genommen hat, damit diese Dinge nicht ans Licht kommen, wollte ich
seinen Wunsch respektieren.«
»Das kann ich
verstehen, aber Ihre Aussage kann dazu beitragen, einen Mord aufzuklären.
Wir werden diskret vorgehen.«
Unschlüssig blickte sie
auf ihre Hände. »Ich besitze den Brief nicht mehr, Herr
Walther. Ich habe ihn verbrannt.«
»Es reicht, wenn Sie
mir sagen, was sinngemäß dringestanden hat. Und wie Sie an den
Brief gekommen sind.«
Sie trank einen Schluck
Wasser und holte tief Luft. »Gut, ich werde Ihnen alles erzählen.
Unsere Ehe war glücklich, das habe ich jedenfalls geglaubt. Wir haben
zwei wunderbare Kinder, das Geschäft lief gut, es gab keine
finanziellen Sorgen. Eines Abends saßen wir beim Essen, als ein
Brief abgegeben wurde. Von irgendeinem Kind, wie mir das Mädchen später
sagte. Viktor öffnete und las ihn. Dann wurde er ganz still. Aß
nicht weiter, steckte den Brief ein und verließ bald darauf das
Haus. Angeblich wollte er noch einmal ins Geschäft fahren, ist aber
nie dort angekommen. Zwei Tage später fand man seine Leiche im
Landwehrkanal. Da es keine Spuren äußerer Gewalt gab, lautete
das Urteil auf Selbsttötung. Was ich auch nie bestritten habe. Aber
in Wahrheit hat ihn derjenige getötet, der ihm diesen Brief geschickt
hat.« Sie trank noch einen Schluck. »Als ich mich wieder
gefasst hatte, erkundigte ich mich bei der Polizei, ob man bei Viktors
Sachen einen Brief gefunden habe. Dem war nicht so. Also suchte ich in
seinem Arbeitszimmer und fand den Brief in einer Schreibtischschublade.
Ich weiß nicht, weshalb er ihn nicht vernichtet hat. Vielleicht
wollte er ja, dass ich ihn finde, damit ich seine Tat verstehe. Oder ob er
einfach die Nerven verloren hat?« Sie unterdrückte ein
Schluchzen und wischte sich wieder über die Augen.
»Was stand in dem Brief
und wie sah er aus?«
»Er war auf einfachem
weißem Papier mit der Maschine geschrieben und lautete in etwa
– ich weiß nicht, ob ich noch alles richtig zusammenbekomme:
Weiß Ihre Frau, was Sie abends treiben, wenn Sie sich – wie
war das noch – ach ja, wenn Sie angeblich ins Dampfbad gehen?«
Sie senkte den Kopf und schluckte. »An die nächsten Sätze
erinnere ich mich genau: Hat sie je die Striemen auf Ihren Schenkeln
gesehen? Oder nähern Sie sich ihr nur im Dunkeln?« Einen Moment
lang konnte sie nicht weitersprechen. »Und dass seine Geschäftsfreunde
sicher auch nicht wüssten, wie sehr es ihn errege, gewürgt zu
werden. Und dass es ihm etwas wert sein müsse, dass es niemand erfährt.
Seine Frau natürlich auch nicht. Und dass der Schreiber sich wieder
melden und ein Angebot erwarten würde.« Rote Flecken krochen an
ihrem Hals empor.
»Das erklärt natürlich
einiges«, meinte Berns. »Haben Sie nie etwas geahnt von
seinen, hm, Vorlieben?«
Sie schüttelte heftig
den Kopf. »Nein.« Die Beamten merkten, wie schwer es ihr fiel,
derart intime Dinge auszusprechen, aber sie zwang sich dazu. »Ich
war sehr unerfahren, als ich Viktor heiratete. Ich hatte keinen Vergleich,
wusste nicht, ob er besonders leidenschaftlich war oder nicht. Aber ich
war immer glücklich mit ihm.«
Robert schaute zu Boden, als
wollte er sich auf etwas Unangenehmes vorbereiten. »Wir danken Ihnen
sehr, Frau von Dreesen. Leider muss ich Ihnen noch eine Frage stellen, die
Sie womöglich kränken wird. Wir suchen den Mörder von
Gabriel Sartorius, dem mutmaßlichen Erpresser. Wo waren Sie am 5.
Juni 1922 zwischen fünf und sechs Uhr
Weitere Kostenlose Bücher