Leo Berlin
Putzfrau hob fragend die
Hände. »Ich hab nur den einen Herrn gesehen, den Dunkelhaarigen
mit dem grauen Anzug. Er ist die Treppe hochgegangen.«
»Nach ihm muss noch
jemand hereingekommen sein. Waren Sie die ganze Zeit hier?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Zwischendurch hab ich ein paar Mal Wasser an der Gartenpumpe
geholt. Die Haustür stand offen, ich war ja nur um die Ecke.«
»Das hat er wohl
abgepasst«, warf von Malchow ein.
»Vielen Dank«,
sagte Robert. »Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie bitte
das Polizeipräsidium an.«
Er wandte sich ab und nahm
von Malchow beiseite. »Können Sie sich wirklich an nichts
erinnern? Sie müssen ihm doch ganz nahe gewesen sein.« Es klang
vorwurfsvoller als beabsichtigt.
»Schon, aber es ging
sehr schnell. Er hat mich umgerannt. Gut gekleidet war er, heller Anzug,
dunkelbrauner Hut, der das Gesicht verdeckte. Kein Mantel. Mehr kann ich
nicht sagen.«
Robert überlegte kurz,
verkniff sich dann eine Bemerkung über mangelnde Beobachtungsgabe und
sah den ungeliebten Kollegen an. »Ich möchte Ihnen danken. Sie
haben schnell reagiert und den Kommissar vermutlich vor Schlimmerem
bewahrt.«
»Ich habe nur meine
Pflicht getan«, sagte von Malchow mit seiner üblichen
blasierten Distanz. »Das hätte ich für jeden Mann von der
Straße getan.«
»Trotzdem. Ich nehme
nachher Ihre Aussage auf. Sie sind unser einziger Zeuge.«
Außer Atem gelangte
er zu seinem Wagen, sah sich noch einmal flüchtig um und stieg ein.
Dann holte er tief Luft und lehnte sich in die Polster zurück. Es war
der Falsche gewesen. Er musste diesen Wechsler erwischt haben. Es war so
schnell gegangen, und in dem Sekundenbruchteil, in dem er die falsche
Haarfarbe bemerkte, hatte er schon zugestochen.
Verdammt, war das möglich?
Er war so sicher gewesen, dass der andere den Wagen geholt hatte und in
die Nussbaumallee gefahren war. Sein Glück, dass der Zusammenprall
vor dem Haus so schnell und überraschend gekommen war, dass ihn der
andere gewiss nicht erkannt hatte.
Falls er sich überhaupt
an ihn erinnerte.
Bei Wechsler zu Hause öffnete
niemand. Robert sah sich unschlüssig um. Wo mochte Ilse sein?
Vielleicht bei Marie im Krankenhaus. Er fuhr rasch in die nahe gelegene
Klinik und betrat den Balkon der Isolierstation. Georg kniete mit einem
Karton voller Fingerpuppen vor dem Fenster. Marie stand drinnen
unmittelbar davor und strahlte ihren Bruder an. »Hier ist der
Kasper, er hat Bauchweh. Und das ist der Arzt, der macht ihn wieder
gesund.« Er sah angestrengt auf Maries Lippen. »Warum er
Bauchweh hat? Er hat zu viel Kuchen gegessen, drei ganze Sahnetorten.«
Marie lachte und tippte mit dem Finger gegen die Scheibe. Robert ließ
ihnen noch einen Moment, bevor er sich räusperte.
»Georg, wo ist deine
Tante?«
Der Junge drehte sich überrascht
um. »Hallo, Onkel Robert, was machst du denn hier?«
»Komm mal her.«
Georg sah ihn ein wenig
erschrocken an. »Ist was mit Vati?«
Er nickte. »Er ist
verletzt worden. Ich glaube, es ist nicht so schlimm, aber sie haben ihn
hierher ins Krankenhaus gebracht. Wo ist deine Tante Ilse?«,
wiederholte er.
»Sie hatte was vor. Da
bin ich allein gekommen.«
Robert stutzte, dann fiel ihm
ein, dass Leo etwas von einem Freund erzählt hatte. Da hatte sie sich
den richtigen Tag ausgesucht, dachte er und schalt sich sofort für
diesen ungerechten Gedanken. »Am besten, du bleibst bei Marie. Ich
sehe nach deinem Vater und komme noch mal wieder. Wenn du deine Tante
siehst, sag ihr bitte, was passiert ist.«
»Was genau ist denn
passiert?«, fragte Georg ängstlich.
So viel Zeit musste sein.
»Dein Vater hat eine Wohnung durchsucht. Dort hat ihn ein Mann
überfallen und mit einem Messer verletzt. Wer und warum, wissen wir
noch nicht. Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut.« Er strich dem
Jungen über den Kopf und eilte in die Notaufnahme.
»Er hat Glück
gehabt. Es sind keine inneren Organe verletzt, nur der Blutverlust hat ihn
geschwächt. Zum Glück wurde er rechtzeitig eingeliefert. Die
Gehirnerschütterung ist nicht schwerwiegend. Er kann in zwei bis drei
Tagen nach Hause.«
»Kann ich mit ihm
sprechen?«
»Bedaure, er braucht
jetzt Ruhe. Kommen Sie morgen wieder.«
»Seine Schwester kommt
heute noch her.«
»Gut, ich werde sie zu
ihm lassen.«
In Gedanken versunken ging
Robert zurück zur Isolierstation.
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