Léon und Louise: Roman (German Edition)
so tröstete er sich darüber hinweg mit der guten Bezahlung, dank der er sich nach der Hochzeit den Umzug von den Batignolles in die Rue des Écoles hatte leisten können, sowie mit der Hoffnung, dass er bei einem einigermaßen günstigen Lauf der Dinge irgendwann in eine abwechslungsreichere Position aufsteigen würde.
Nach dem Kartoffelgratin untersuchte er ein Glas weißen Bordeaux auf Zyankali, kam erneut zu einem negativen Befund und nahm den Roquefort aus dem Kühlschrank, den er auf Rattengift prüfen sollte. Ein Blick auf die Wanduhr über der Tür zeigte ihm, dass es schon elf Uhr war. Er würde sich den Roquefort für den Nachmittag aufsparen und ausnahmsweise zu Hause Mittag essen; und weil er so früh dran war, würde er die freie Zeit nutzen und auf dem Heimweg zwei- oder dreimal zwischen den Métrostationen von Saint-Michel und Saint-Sulpice hin und her fahren.
Als Léon vom Boulevard Saint-Michel in die Rue des Écoles einbog, riss die Wolkendecke auf. Weiter vorne leuchtete die Sorbonne auf in jenem strahlenden Weiß, das es nur in den Straßen von Paris gibt, und der Himmel war plötzlich von einem Glanz, als enthalte er Goldstaub. Von einem Augenblick zum anderen fingen die Amseln in den Bäumen an zu singen, klangen die Automotoren fröhlicher, die Absätze der Damenschuhe heller, die Trillerpfeifen der Gendarmen freundlicher.
Nach ein paar Schritten schien es Léon, als höre er von Weitem durch den Straßenlärm das glückliche Kreischen seines Sohnes Michel. Im Näherkommen sah er, dass er sich nicht getäuscht hatte – der Kleine befand sich tatsächlich in der kleinen Grünfläche neben dem Collège de France, welche die Stadtgärtnerei wenige Wochen zuvor direkt vor seinem Wohnzimmer angelegt hatte. Seine Wangen waren rot und seine Augen leuchteten, und mit dem ganzen Lebensglück eines Vierjährigen umrundete er in einem knallroten Tretauto, das die Form eines Feuerwehrmobils hatte und komplett ausgerüstet war mit Drehleiter, Bimmelglocke und Suchscheinwerfer, Mal um Mal die steinerne Büste des schwerhörigen Dichters Pierre de Ronsard, die in der Mitte der Anlage stand.
Auf einer steinernen Parkbank saß wie hingegossen seine Frau Yvonne. Ihr linker Arm baumelte hinter der Lehne, der rechte Unterarm ruhte waagrecht auf ihrem Scheitel, und sie hatte die Beine lang ausgestreckt und war versunken in den Anblick des kindlichen Glücks, zufrieden wie eine Katzenmutter, die ihr Junges ausgiebig gefüttert hat. Sie trug ein langes weißes Leinenkleid, das Léon an ihr noch nie gesehen hatte und unter dem sich selbstbewusst ihr schwellendes Bäuchlein abzeichnete, dazu einen hübschen kleinen Strohhut und eine Sonnenbrille mit rosa Gläsern, der ihrer sommerlichen Aufmachung etwas Verwegenes gab.
Léon wunderte sich. Das war nicht das Schlager trällernde Mädchen, das er am Morgen zurückgelassen hatte, auch nicht das in häuslicher Gefangenschaft zerquälte Wesen, das ihn durch die vergangenen Monate begleitet hatte – diese Frau hatte er noch nie gesehen. Eine jener russischen Adligen hätte sie sein können, die stundenlang im Jardin du Luxembourg spazieren gingen, oder eine amerikanische Filmschauspielerin, die schon den dritten Highball intus hatte.
Als Yvonne ihn erblickte, winkte sie ihm mit allen fünf Fingern der rechten Hand einzeln zu. Er winkte zurück, dann kauerte er sich zu seinem Söhnchen nieder und ließ sich von ihm die Bimmelglocke und das Handschuhfach zeigen.
»Léon, wie schön, dass du mal mittags nach Hause kommst!«, sagte sie, als er sich neben sie setzte. Beim Begrüßungskuss fühlte er, dass sie sich biegsam an ihn schmiegte wie schon lange nicht mehr.
»Verzeih mir die Frage«, sagte er. »Bist du heute Morgen verrückt geworden?«
Yvonne lachte. »Wegen der neuen Sachen? Wir haben einen Einkaufsbummel in die Galeries Lafayette gemacht, der kleine Michel und ich.«
»Du hast das Zeug neu gekauft?«
»Wie du siehst. Schau, wie glücklich der Kleine ist. Die Glocke ist aus massivem Messing, weißt du? Michel, Liebling, bimmle doch nochmal mit der Glocke für deinen Papa.«
Der Kleine riss und rüttelte an der Glocke, dass die Passanten auf der gegenüberliegenden Straßenseite verwundert herüberschauten, und Léon zwang sich, dem kindlichen Glück zuzulächeln. Dann wandte er sich wieder seiner Frau zu. »Kannst du mir sagen, was dieses Feuerwehrauto …«
»Gefällt es dir?«
»… was dieses Auto gekostet hat?«
»Keine Ahnung, es steht auf
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