Léon und Louise: Roman (German Edition)
Langem erwartet oder als wäre er es seit vielen Jahren gewöhnt, dass ich mich zu ihm ins Bett lege. Und dann hat er mich genommen, wie ein Mann das tun muss, ohne große Worte, aber lustvoll und sicher, sanft und zielstrebig.
Giuliano führt uns jedes Mal sicher und stark ans Ziel, und hernach macht er mir keine Schwüre und keine Anträge, sondern gibt mich frei und lässt mich zurückschleichen auf mein Zimmer, und anderntags lässt er sich nichts anmerken. Er zwinkert mir nicht zu und setzt mir nicht nach, leistet sich keine Vertraulichkeiten und drängt mich nicht zu weiteren Besuchen, sondern gibt sich im Gegenteil mir gegenüber, wenn wir in Gesellschaft sind, betont gleichgültig, manchmal sogar abweisend. Wenn ich dann aber nach ein paar Tagen oder Wochen wieder zu ihm unter die Decke schlüpfe, rutscht er zur Seite und nimmt mich in Empfang, als wäre ich nie weg gewesen.
Er ist ein Gentleman in der Schale eines Grobians, das gefällt mir. Von der gegenteiligen Sorte gibt es genug. Natürlich wird es zwischen uns aus sein, sobald der Krieg vorbei ist, denn bei Tageslicht halte ich ihn nicht aus. Nachts ist er ein lebenskluger, warmherziger Mann, tagsüber ein oral fixiertes Kleinkind. Wenn er den Mund aufmacht, prahlt er mit den Brüsten seiner Gattin, die ihn irgendwo bei Nizza erwartet, quatscht über Milan und Juventus sowie Bugatti, Ferrari und Maserati, und zwischendurch flucht er, dass ihm der Staat verdammt nochmal das Kreuz der Ehrenlegion und eine lebenslange Rente schulde und er sich von dem Geld ein Boot an der Riviera kaufen und jeden Tag hinaus aufs Meer zum Fischen fahren werde.
Allzu lang wird es ja nun nicht mehr dauern, bis der Krieg vorbei ist. Sogar wir hier draußen im Busch haben von Stalingrad gehört, und seit die Alliierten in Marokko und Algerien gelandet sind, will jeder Sergeant, jeder Zollbeamte und jeder Gelegenheitsganove, der vorbeikommt, schon immer ein kleiner Jean Moulin gewesen sein. Ein paar Wochen oder Monate noch, sagt unser Kommandant, dann tragen wir unsere Kisten zur Bahn und fahren über Dakar und Marseille heim nach Paris.
Was ich tun werde, wenn ich an der Gare de Lyon aus dem Zug steige, weiß ich genau: Ich werde im Taxi an die Rue des Écoles fahren und an Deiner Tür klingeln. Und wenn Du dann noch da bist, falls Du und Deine Frau und Deine Kinder alle überlebt habt, werde ich eintreten und Euch reihum küssen. Wir werden uns freuen, dass wir noch leben, und dann werden wir zusammen spazieren gehen oder meinetwegen Kohlsuppe essen. Alles andere wird doch dann egal sein, nicht wahr?
Sei am Leben, Léon, sei glücklich und gesund und zärtlich geküsst – auf sehr bald!
Deine Louise
18. KAPITEL
Léon verbrachte nun all seine Mittagspausen im Hausboot am Arsenal-Hafen, manchmal auch die Stunden zwischen Feierabend und Abendessen. Mittags aß er in seiner Kajüte ein Schinkensandwich, dann legte er sich für eine halbe Stunde aufs Bett. Das hatte er früher nie getan. Als junger Bursche hatte es ihn stets mit leisem Grauen erfüllt, wenn sein Vater nach dem Mittagessen wie zum Sterben aufs Sofa sank und in Sekundenschnelle wegdämmerte mit offenem Mund und zugekniffenen Augen. Nun war er selbst soweit, dass ihm das Mittagsschläfchen unverzichtbar war; es gab ihm die Kraft, ins Büro zurückzukehren und die wiederkehrenden Demütigungen, Leerläufe und Rituale, die das Leben ihm abverlangte, geduldig zu ertragen.
Fleur de Miel blieb sein Geheimnis, er sprach zu keinem Menschen davon. Zu Hause vermisste ihn niemand. Seine Frau Yvonne war mit dem Überlebenskampf beschäftigt und hatte weder Zeit noch Kraft und auch nicht mehr den Willen, sich mit Sinnfragen, Herzensdingen und ähnlichen Feinstofflichkeiten zu befassen. Natürlich wusste sie längst um das Hausboot, denn aus Sicherheitsgründen hatte sie darüber Bescheid wissen müssen, ob der Ehemann in seinen unbeobachteten Stunden Dummheiten trieb, die der Familie gefährlich werden konnten. Weil er das nicht tat, war ihr das Boot egal; sie erwartete von Léon nicht mehr und nicht weniger, als dass er seinen Beitrag zur Nahrungsbeschaffung und zum Schutz der Sippe leistete. Dafür gewährte sie ihm alle Freiheiten, forderte von ihm keine Gefühle und behelligte ihn auch nicht mit solchen.
Léon wusste das zu schätzen. Vor ein paar Jahren noch hatte er an Yvonnes herber, vor der Zeit gealterter Art gelitten und das leichtfüßige Mädchen vermisst, das sie einst gewesen war; manchmal
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