Leopardenblut (German Edition)
vertrieben die letzten Reste der Versuchung aus seinem Kopf. Normalerweise hatte er keinerlei Schwierigkeiten, zwischen Tier und Mensch zu wechseln, aber heute war ein schlechter Tag gewesen.
Heute konnte er das Bedürfnis der Medialen fast verstehen, Gefühle aus ihrem Leben zu verbannen. Wenn er nicht fühlte, würde er sich auch nicht erinnern. Wenn er nicht fühlte, würde er nicht trauern. Wenn er nicht fühlte, würde er nicht mit jedem Schlag seines menschlichen Herzens diesen Schmerz fühlen.
8
Er hatte angefangen, sie in seinen Träumen zu erwarten. Als sie seine Schulter berührte, rollte er sich zur Seite und sah sie an. Er hatte ihr sagen wollen, dass er heute nicht mit ihr spielen konnte, doch ihr Anblick ließ ihn innehalten. Mit ihrem alten Baumwollschlafanzug und den beiden Zöpfen wirkte sie wie eine Sechzehnjährige.
Dann fiel ihm auf, dass er eine dunkelgraue Trainingshose trug, die genauso aussah wie sein Lieblingsstück. „Was ist los, Kätzchen?“
In ihren Augen sah er einen Hauch verwirrter Verletzlichkeit. „Ich weiß es nicht.“ Sie schlang die Arme um ihren Körper.
„Komm her“, sagte er und breitete die Arme aus.
Nach kurzem Zögern legte sie den Kopf auf seine Brust und streckte sich an seiner Seite aus. „Ich fühle mich s o … schwermütig.“ Eine feingliedrige Hand lag neben ihrem Kopf auf seiner bloßen Haut.
„Ich auch.“ Der Stein auf seinem Herzen würde am Morgen verschwunden sein, aber die Erinnerung würde bleiben.
Ihre Hand strich über sein Herz. „Warum bist du traurig?“
„Manchmal fällt mir ein, dass ich diejenigen, die ich liebe, nicht immer beschützen kann.“ Ihre Haare fühlten sich seidenweich an.
Sie versuchte nicht, ihm zu erzählen, dass er schließlich nicht Gott war und nicht jeden beschützen konnte. Das wusste er selbst. Auch wenn es etwas anderes war, ob man es wusste oder ob man es wirklich glaubte. Was sie dann schließlich sagte, ließ sein Herz stillstehen. „Ich wünschte, du würdest mich lieben.“
„Warum?“
„Dann könntest du mich vielleicht auch beschützen.“ Quälende Sorgen schwangen in ihrer Stimme mit.
„Warum brauchst du Schutz?“ Hinter der dunklen Last der Erinnerung regte sich sein Beschützerinstinkt.
Sie rückte näher und er nahm sie fest in die Arme. „Weil ich zerbrochen bin.“ Ihre Hand strich weiter über sein Herz und er spürte, wie sanfte Wärme seinen Körper erfüllte. „Und die Medialen lassen zerbrochene Kreaturen nicht am Leben.“
„Für mich bist du vollkommen.“
Sie antwortete nicht. Nur ihre Hand strich weiter beruhigend über seine Brust und mit jeder Bewegung kam er tatsächlich mehr zur Ruhe. Eine andere Schwere breitete sich nun in seinem Körper aus. Eigenartigerweise fühlte es sich so an, als würde er wieder einschlafen. Er fiel ins Dunkle und ihre ruhigen Worte kreisten wie ein endloser Fluss in seinem Kopf.
Weil ich zerbrochen bin.
Und die Medialen lassen zerbrochene Kreaturen nicht am Leben.
Als er am nächsten Tag im Büro ankam, wartete Sascha bereits auf ihn. Er versuchte sich mit ihr zu unterhalten, denn der intensive Traum hatte ihn beunruhigt, doch er lief gegen eine Wand. Es war, als hätte sie sich so tief in sich zurückgezogen, dass sie fast nicht mehr vorhanden war.
„Geht es Ihnen gut?“ Er spürte den Schatten, der auf ihr lag, spürte si e … als gehörte sie zu seinem Rudel.
„Ich möchte ein paar Veränderungen bei den verwendeten Baumaterialien vorschlagen“, sagte sie anstelle einer Antwort. „Meine Nachforschungen haben ergeben, dass diese Sorte Holz unter den Bedingungen am Bauplatz nicht so schnell verwittert.“ Sie schob ihm ein Muster und einen dicken Bericht zu.
Frustriert über ihre Unzugänglichkeit strich er über das Holz. „Das Zeug ist billiger.“
„Deshalb kann es trotzdem gut sein. Sehen Sie sich bitte meinen Bericht an.“
„Das werde ich.“ Er legte ihn zur Seite. „Sie sehen scheußlich aus, Sascha-Schätzchen.“ Nach der letzten Nacht würde er sich auf keinen Fall von ihr abweisen lassen. Sie war eine Mediale und er hatte ziemlich eigenartige Träume. Er konnte schließlich eins und eins zusammenzählen.
Ihre Hände schlossen sich fest um den Organizer, bevor sie sich selbst wieder unter Kontrolle hatte. „Ich habe schlecht geschlafen.“
Sein Instinkt sagte ihm, dass es an der Zeit war, nachzuhaken. „Unruhige Träume?“
„Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Mediale nicht träumen.“ Sie sah ihn
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