Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
Vom Netzwerk:
Wort verstehen konnte.
    »Paß auf, er ist gefangen, der Krösus. Alles ist in Ordnung. Schon gemacht. Ich habe Leute gesehen. Er kommt um sechs. Die sechzig Franken bringen. Schweinehund! Hast du gesehen, wie ichsie ihm herausgeholt habe, diese sechzig Franken? Ach, war er blöd! Nun, er kommt um sechs. Um diese Zeit geht unser Nachbar essen. Frau Burgon ist in der Stadt mit ihren Wascharbeiten beschäftigt. Niemand im Haus. Der Nachbar kommt vor elf Uhr nie zurück. Die Mädchen können Schmiere stehen. Du kannst uns helfen. Er wird schon kirre werden.«
    »Und wenn er nicht kirre wird?«
    »Dann machen wir ihn kirre.«
    Jondrette lachte unheimlich.
    Marius sah ihn zum erstenmal lachen und schauderte.
    Jondrette öffnete einen Schrank neben dem Kamin, zog eine alte Mütze heraus und setzte sie, nachdem er sie mit dem Ärmel abgerieben hatte, auf.
    »So, jetzt gehe ich. Ich muß noch Leute sehen. Verläßliche Leute. Du wirst schon sehen, wie sich das alles entwickelt. Paß inzwischen auf das Haus auf.«
    Er versenkte seine Fäuste in den Hosentaschen und blieb einen Augenblick nachdenklich stehen.
    »Ein Glück ist es nur, daß er mich nicht erkannt hat. Wenn er mich wiedererkannt hätte, käme er nicht wieder! Der wäre uns durch die Finger gerutscht. Mein Bart, mein romantischer Bart hat mich gerettet.«
    Wieder lachte er.
    Er war ans Fenster getreten.
    »Hundewetter!«
    Er knöpfte seinen Rock zu.
    »Die Kluft ist mir zu breit. Immerhin, es war eine verdammt gute Idee von ihm, ihn mir hier zu lassen. Sonst könnte ich jetzt nicht ausgehen, und alles wäre verpatzt. An solchen Dingen hängt oft alles.«
    Er zog die Mütze tief ins Gesicht und ging.
Solus cum solo, in loco remoto, non cogitabuntur orare pater noster
    Trotz seines Hanges zur Träumerei war Marius, wie wir schon gesagt haben, ein fester, energischer Charakter. Seine Sonderlingsgewohnheiten hatten ihn wohl verfänglich gemacht für Regungender Sympathie und des Mitleids, vielleicht auch seine Empfindlichkeit herabgemindert, doch war er immerhin noch imstande, sich zu empören. Er war gütig wie ein Brahmane und zugleich streng wie ein Richter; mit einer Kröte konnte er Mitleid haben, aber eine Viper zertrat er. Darum war er jetzt, da er in ein Vipernnest geraten war, zu allem entschlossen.
    »Ich werde diesem Elenden den Fuß auf die Stirn setzen«, sagte er.
    Von all den Rätseln, die plötzlich vor ihm standen, war keines gelöst worden; im Gegenteil, er tappte mehr denn je im finstern. Nichts wußte er über das hübsche Kind aus dem Luxembourg, nichts über den Mann, den er Leblanc nannte, außer der einzigen Tatsache, daß Jondrette ihn kannte. Aus dem ganzen Wirrwarr der Worte, die er gehört hatte, begriff er nur eines, daß hier ein Hinterhalt gelegt werden sollte; daß vielleicht alle beide, gewiß aber ihr Vater in großer Gefahr schwebte.
    Einen Augenblick lang beobachtete er die Jondrette, dann stieg er von seiner Kommode so geräuschlos wie möglich herab. Er fühlte jetzt Freude bei dem Gedanken, daß er vielleicht ihr, die er liebte, einen so bedeutsamen Dienst erweisen könne. Aber was konnte er tun? Die Bedrohten warnen? Wo sollte er sie finden? Er wußte ja die Adresse nicht. Sie waren einen Augenblick vor seinen Augen aufgetaucht, dann wieder verschwunden in den unendlichen Tiefen von Paris. Sollte er Herrn Leblanc am Abend um sechs Uhr an der Türe abpassen? Jondrette und seine Leute würden ihn bemerken, die Gegend war öde, unschwer konnten sie ihn überwinden und beiseite schaffen; dann war er, den Marius retten wollte, vollends verloren.
    Jetzt war es ein Uhr. Um sechs Uhr würde alles vorüber sein. Marius hatte also noch fünf Stunden vor sich.
    Ihm blieb nur ein einziger Ausweg übrig.
    Er zog seinen Rock an, band sich das Halstuch um, setzte den Hut auf und schlich sich fort, leiser, als ob er barfuß über Moos gegangen wäre.
    Sobald er das Haus verlassen hatte, eilte er nach der Rue du Petit Banquier.
    Er war schon in der Mitte jener Straße, an einer sehr niedrigen Mauer, die man an gewissen Stellen leicht überspringen kann; langsam, in Gedanken versunken, ging er einher; der Schnee dämpfte das Geräusch seiner Schritte. Plötzlich hörte er ganz nahe, hinterder Mauer, sprechen. Er wandte den Kopf um, sah aber niemand, obwohl es heller Tag war.
    Schon wollte er über die Mauer schauen. Er warf einen Blick über die Brüstung und gewahrte zwei Männer, die an die Mauer gelehnt standen und leise sprachen.
    Die beiden

Weitere Kostenlose Bücher