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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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aber alles schlecht.
    Die Thénardier war gerade klug genug, um alberne Bücher zu lesen. Sie lebte davon. Nichts anderes beschäftigte ihren Verstand; das hatte ihr seinerzeit, als sie noch jung war, ja sogar noch später,den Schein einer gewissen Besinnlichkeit verliehen, so daß sie neben ihrem Mann, einem Schurken von Format und geschulten Lumpen, geradezu angenehm wirkte. Sie war zwölf oder fünfzehn Jahre jünger als er. Später, als ihre romantischen Schmachtlocken zu ergrauen begannen und aus der Pamela eine Megäre wurde, war die Thénardier nur noch eine plumpe, böse Frau, die dumme Bücher las.
    Man beschäftigte sich nicht ungestraft mit Albernheiten.
    So geschah es, daß die älteste Tochter der Thénardiers Eponine getauft wurde; und die jüngere, das arme Geschöpf, sollte gar Gülnare heißen; das Glück wollte, daß ein Roman von Ducray-Duménil diese Schmach von ihr fernhielt; sie kam mit dem Namen Azelma davon.
Die Lerche
    Es genügt, um Erfolg zu haben, nicht, daß man ein Schuft ist. Die Herberge ging schlecht.
    Dank den siebenundfünfzig Franken der Reisenden konnte Thénardier einem Protest entgehen und seinen Wechsel honorieren. Aber schon im nächsten Monat brauchte er wieder Geld. Die Frau trug Cosettes Kleider nach Paris und versetzte sie auf dem Mont de Piété für sechzig Franken. Sobald diese Summe verausgabt war, gewöhnten sich die beiden daran, die Kleine für ein Kind zu halten, das sie aus reiner Barmherzigkeit bei sich behielten, und sie behandelten sie danach. Da sie jetzt keine Ausstattung mehr besaß, mußte sie die alten Kleider und Hemden der kleinen Thénardiers auftragen. Ihre Nahrung war, was übrigblieb – etwas besser als die des Hundes und etwas schlechter als die der Katze. Hund und Katze waren übrigens ihre Tischgenossen. Cosette aß mit ihnen unter dem Tisch aus einem Holznapf, der dem der beiden Tiere glich.
    Die Mutter hatte sich, wie der Leser noch sehen wird, in Montreuil sur Mer niedergelassen. Allmonatlich ließ sie an die Thénardiers schreiben, um Nachrichten über ihr Kind einzuholen. Und unwandelbar antworteten die Thénardiers:
    »Cosette geht es glänzend.«
    Als die ersten sechs Monate abgelaufen waren, sandte die Mutter sieben Franken für den siebenten; monatlich liefen ihre Zahlungenpünktlich ein. Aber das Jahr war noch nicht voll, als Thénardier sagte:
    »Wir sind ja keine Wohltäter! Was sollen wir denn von ihren sieben Franken alles leisten?«
    Und er schrieb, sie müsse jetzt zwölf Franken bezahlen. Da sie der Mutter sagten, das Kind sei glücklich und gedeihe aufs beste, fügte sie sich und sandte zwölf Franken.
    Gewisse Naturen können nicht nach einer Seite lieben, ohne nach der anderen zu hassen. Mutter Thénardier liebte ihre beiden Töchter leidenschaftlich, aber das hatte nur zur Folge, daß sie die Fremde verabscheute. So wenig Platz Cosette auch einnahm, ihr schien immer, es sei Platz, der den eigenen Kindern gebühre, und sie hatte ein Gefühl, als ob Cosette ihren Kindern die Luft wegschnappe. Diese Frau hatte, wie viele ihrer Art, ein gewisses Quantum Liebe und ein gewisses Quantum Püffe und Flüche täglich zu verausgaben. Wäre Cosette nicht im Hause gewesen, so wären gewiß auch die Grobheiten den eigenen Kindern, sosehr sie auch geliebt wurden, zugefallen; die Fremde aber leistete den beiden Mädchen den Dienst, alle Prügel auf sich abzuziehen. Cosette konnte nichts tun, ohne einen Hagel unverdienter und grausamer Züchtigungen auf sich herabzulocken.
    Da die Thénardier gegen Cosette schlecht war, taten Eponine und Azelma desgleichen. In diesem Alter sind die Kinder nur Kopien der Eltern.
    So verstrich ein Jahr, und noch eines.
    Im Dorf hieß es: diese Thénardiers sind doch gute Leute. Sie sind nicht reich, aber sie bringen dieses arme Kind durch, das man bei ihnen liegengelassen hat.
    Denn man nahm an, Cosette sei von ihrer Mutter vergessen worden.
    Inzwischen hatte Thénardier erfahren – wir wissen nicht, auf welchen dunklen Umwegen –, daß das Mädchen unehelich geboren war und daß die Mutter es verleugnen mußte. Sofort verlangte er fünfzehn Franken monatlich, schrieb, die Kleine wachse und esse für drei, drohte sogar, sie zurückzuschicken.
    Die Mutter zahlte auch die fünfzehn Franken.
    Von Jahr zu Jahr wuchs das Kind, wuchs auch sein Elend.
    Solange Cosette klein war, hatte sie den beiden anderen Kindern als Prügelfänger gedient; seit sie etwas größer war (noch nicht ganz fünf Jahre), diente sie als

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