Lesereise Kanarische Inseln
allsonntäglich Schauplatz einer sehr geschätzten kostenlosen Folkloredarbietung der Gruppe San Cristóbal.
Unter den Zuschauern, die sich, lange bevor die Show beginnt, bereits eingefunden haben, ist auch eine Dame aus Ljubljana, die von sich sagt, sie sei »vermutlich die einzige slowenische Touristin auf der Insel, die nicht in den Hotelanlagen im Süden, sondern lieber direkt in Las Palmas wohnt«. Sonne und Strand sind für Marusja weit weniger wichtig als Kirchen und Kultur, Galerien und Theater. Marusja mag mit ihrem scheußlich-schönen Sonnenhütchen samt Socken und Sandalen zu großgeblümtem Sommerkleid wie die Inkarnation einer Pauschaltouristin wirken. Wenn sie den Mund aufmacht, verfliegt der Eindruck sofort. Sie spricht ein lupenreines Spanisch und schwatzt mit den Einheimischen wie mit alten Bekannten.
Unterdessen hat sich der kleine Platz im Pueblo Canario mit Menschen gefüllt. Musikanten und Sänger nehmen ihre Positionen ein, Volkslieder erklingen und Paare in Trachten beginnen, sich in munterem Reigen zu drehen. Fasziniert beobachtet das Publikum die Darbietung. Solosängerin María Felipe Sosa ist die Chefin des bereits seit 1963 existierenden
[74]
ehrenamtlichen Vereins zur Pflege der Inseltraditionen. Drei Dutzend Mitglieder hat die Gruppe heute, Jung und Alt sind mit Begeisterung dabei. Man ist bereits fast überall auf der iberischen Halbinsel sowie an vielen Orten Europas und sogar in Südamerika aufgetreten, erzählt Señora Sosa stolz. Sie ist besonders berührt davon, dass nicht nur jede Menge Touristen die Show besuchen, sondern auch viele canariones , wie die Einwohner Gran Canarias heißen, um die alten Lieder zu hören und die Tänzer zu bewundern. In der Tracht aus Leinen und Wolle fühlt sich María ebenso wie ihr Kollege Juan-Ángel pudelwohl. »Man trägt sie ganz selbstverständlich, wie andere Klamotten auch«, versichert die Hüterin der Traditionen. Im benachbarten Parque Doramas, benannt nach einem Guanchen-Häuptling, ergeht man sich nach der Folklore-Show im Grünen, genießt die Kühle, die von den Fontänen der Wasserbecken ausgeht, während die Kinder im Sonntagsstaat spielen und tollen.
Nicht weit entfernt, schon zum Viertel Triana gehörend, liegt der Parque San Telmo. Das kleine Café im Jugendstil-Kiosk hat draußen Tische im Schatten hoher Bäume stehen. Am Sonntag sind die Stühle gut besetzt, und mit Muße genießt man hier den café con leche oder einen erfrischenden Drink. Triana ist das traditionelle Geschäftsviertel von Las Palmas. Doch am Wochenende geht es hier beschaulich zu. Durch die Calle Peregrina mit ihren alten Kanarenhäusern schlendern die Spaziergänger, an der Plaza Hurtado de Mendoza mit ihrem Schildkrötenbrunnen ruht man auf Bänken aus und liest die Zeitung.
[75]
Die Terrassen der Bars und Cafés an der benachbarten Plaza de Cairasco mit dem weiß leuchtenden Prunkbau des Gabinete Literario sind gut besetzt. Das erste Theater der Insel dient heute als Kulturhaus für Ausstellungen und Lesungen sowie als Treffpunkt für Kunstinteressierte. Nur die Geschäfte in der Calle Mayor de Triana sind geschlossen, die lebhafte Einkaufsmeile scheint im Siesta-Schlaf zu liegen.
Am nächsten Morgen ist alles anders. Die Calle Mayor mit ihren Jugendstilfassaden und Kugellampen ist erwacht und hat sich belebt. Die Läden haben geöffnet, der Menschenstrom nimmt kein Ende. Nur die Senioren und Touristen haben Zeit, müßig auf den Bänken vor Trendshops wie »Zara« oder »Mango« zu sitzen als seien sie Zuschauer, die ein Theaterstück verfolgen. Bereits 1908 schrieb der Arzt und Dichter Tomás Morales über die Calle Mayor de Triana: »Der Hauptstadt breite, reiche und fleißige Arterie in prachtvoller Erscheinung«.
Auch im weiter nördlich gelegenen Parque Santa Catalina, dessen Beete und Bäume sich in der Glasfassade des benachbarten Wissenschaftsmuseums spiegeln, sind die alten Herren schon bei Domino und Kartenspiel versammelt. Schuhputzer Francisco ist hier seit dreißig Jahren tätig, drei Euro kostet es heute, die Treter mit professionellem Geschick putzen und polieren zu lassen. Doch die Geschäfte gehen längst nicht mehr so gut wie einst, als noch vierzig Kollegen hier ein Auskommen fanden, indem sie die Fußbekleidung der Passanten auf Hochglanz brachten. »Heute haben die Leute billige Treter an,
[76]
die zu pflegen sich nicht mehr zu lohnen scheint. Oder sie laufen in Flip-Flops herum, an denen es eben nichts zu putzen gibt«, erzählt
Weitere Kostenlose Bücher