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Lesereise Kanarische Inseln

Lesereise Kanarische Inseln

Titel: Lesereise Kanarische Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Diemar
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pfeift eine Anweisung. Xavier steht auf und öffnet die Tür. Richtig! Dann flötet Ana eine Tonfolge. Danielle erhebt sich, geht durch den Raum und nimmt der Besucherin aus Deutschland die Brille ab. Befehl korrekt ausgeführt! Danielle ist Klassenbeste in Sachen el silbo . Dabei kennt keiner bei ihr daheim die Pfeifsprache, denn sie ist die Tochter einer Emigrantenfamilie aus Rumänien.
    Jedenfalls ist die ganze Klasse mit Eifer dabei. Außer dem Daumen eignen sich übrigens alle vier Finger zum Pfeifen. Es ist reine Geschmackssache, welchen Finger man krümmt. So oder so, offensichtlich macht den Kindern el silbo ziemlichen Spaß. »Zehn Prozent der Zwölfjährigen sind exzellente Pfeifer, weitere zwanzig Prozent nicht schlecht, etwa dreißig Prozent wursteln sich so durch, der Rest versteht zwar alles, kriegt aber nichts richtig gepfiffen«, erklärt Eugenio Darias.
    Er ist trotzdem zufrieden mit der Situation. Noch
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vor einer Generation war el silbo nämlich am Aussterben. Nur noch eine paar Alte beherrschten die Pfeifsprache. Da hatte Don Isidro Ortiz aus dem Töpferdorf Chipude eine Idee: Man müsste el silbo zum Schulfach machen! Die Umsetzung dauerte Jahre. Als Gesetz der autonomen Region der Kanaren ließ sich die Sache nicht durchsetzen, da ja die anderen Inseln kein el silbo kennen. Man einigte sich schließlich darauf, nur auf La Gomera einen Teil des muttersprachlichen Unterrichts der Pfeifsprache zu widmen. Dann musste ein Curriculum her, mussten Lehrer ausgebildet werden. Seit dem Jahr 2000 haben alle kleine gomeros nun el silbo als Schulfach, die Jüngeren eine Viertelstunde pro Woche, die Älteren ein halbe Stunde. Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern? »Die Mädchen sind fast durchweg besser als die Jungen, in el silbo genauso wie in anderen Fächern. Die sind einfach passionierter und konzentrierter, was das Lernen angeht. Die Zukunft wird den Frauen gehören, nicht nur, was das Pfeifen angeht«, versichert Eugenio Darias.
    Jedenfalls pfeift man sich wieder was auf der Insel. El silbo ist ja eigentlich ganz modern, nämlich eine Sprache in Kurznachrichten, nicht viel anders als eine SMS «, meint Eugenio Darias. »Und ein wenig ist es auch wie bei Facebook«, ergänzt Ana, »die Botschaften sind quasi öffentlich und jeder kann sie mitkriegen.«
    Heute hat auch Señor Darias ein Mobiltelefon. Es meldet sich gerade, natürlich auf el silbo mit einer Abfolge von Pfiffen. Was sie bedeuten? »Muchacho, geh doch mal ran«, übersetzt Señor Darias grinsend
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und merkt an, dass es bis heute noch viele Flecken auf La Gomera gibt, wo kein Handy funktioniert. Aber die Kommunikation auf el silbo schon. Übrigens erfolgen auch die Sicherheitsansagen auf den Fährschiffen der Naviera-Armas-Gesellschaft inzwischen dreisprachig: auf Spanisch, Englisch und el silbo .
    Am 30. September 2009 wurde El Silbo Gomero von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Denn es gibt nur noch wenige Orte auf der Welt, die Pfeifsprachen kennen. Sie liegen in Mexiko, in der Türkei, auf einer einzelnen griechischen Insel. Auch in den französischen Pyrenäen gab es eine Pfeifsprache. Sie ist ausgestorben, denn die letzte Frau, die sie beherrschte, hat die Kenntnis mit ins Grab genommen.
    Auf Gomera ist man stolz auf die UNESCO -Auszeichnung. Aber Darbietungen der Pfeifsprache gibt es bislang nur auf Inselfesten sowie in einigen Restaurants, die von Busgruppen angesteuert werden. Wer el silbo live hören will, muss Einheimische freundlich ansprechen und um eine Demonstration bitten. Eugenio Darias ist das zu wenig. El silbo müsse öffentlich zu erleben sein, für die Insulaner ebenso wie für Urlauber. Señor Darias träumt von einem »Silbodrom«. Am liebsten mitten in San Sebastián auf der weiten grünen Wiese des Parque de la Torre mit dem pittoresken Grafenturm aus der Kolumbuszeit. Wie so ein Silbodrom aussehen soll? Eine Art Amphitheater müsse her, mit einer großen Digitalanzeige. Auf der würden mittels einer Computertastatur die Botschaften der Pfeifer ins geschriebene
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Wort übersetzt. Jeder Satz, jede Losung würden dadurch unmittelbar nachvollziehbar. So, dass die Zuhörer nach und nach durch das Mitlesen die Pfeifsprache verstehen könnten.
    Was ist eigentlich am leichtesten zu pfeifen? »Vino tinto«, grinst Eugenio Darias. Denn »Rotwein« klingt gepfiffen eigentlich genauso wie gesprochen. Schmecken tut er natürlich auch. Gehen wir also einen trinken. Wie sich Eugenio später verabschiedet?

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