Lesereise Kanarische Inseln
Natürlich mit einem flott gepfiffenen Adiós !
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Auf Touren kommen
La Palma ist ein Eldorado für Wanderer
Der blaue Helm passt! Jetzt noch die Regenhaut griffbereit verstauen und die Taschenlampe nicht vergessen. Mit dem bunten Plastikkopfschutz sehen wir wie ein Tross von Bauarbeitern aus. Von Las Lomadas im Nordosten sind wir mit Landrovern aufgebrochen, haben uns Kehre um Kehre auf einer Erdpiste durchs dichte Grün hinaufgeschraubt. Die UNESCO hat den urzeitlichen Lorbeerwald von Los Tilos zur »Reserva de la Biosfera« geadelt. Am Forsthaus Casa del Monte beginnt die Tour. Entlang des Wasserkanals, der das frische Bergwasser von den Quellen Marcos y Cordero bergab zu den Dörfern und den Bananenplantagen bringt, führt der schmale Pfad. Links gluckert und schäumt es in der offenen Wasserrinne, zur Rechten geht es tief hinunter in den Barranco. Aber vorläufig sehen wir nichts vom Abgrund. Unentwegt quellen dicke weiße Wolken aus dem Tal, hüllen uns kurz ein, werden vom nächsten Windstoß wieder zerrissen. Eine Lücke in Azur erscheint am Himmel, die Sonne brennt plötzlich, dann sind wir von den nächsten Schwaden eingehüllt. Bald ist der erste von rund einem Dutzend begehbarer Tunnel erreicht. Im schwachen Schein der Taschenlampen tasten wir uns durchs Dunkel.
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Als die Sonne endlich gegen die Wolkensuppenküche obsiegt hat, tun sich tiefe Blicke in den Barranco auf. Der letzte Tunnel hat es in sich. Jetzt ziehen wir den Regenschutz über. Wasser stürzt mit lautem Prasseln von oben durch das Felsgewölbe. Wieder an der Sonne, stehen wir vor einem Berghang, der sich mit schäumenden Kaskaden schmückt. Butterblumen und Königskerzen wuchern in dichten Büscheln. Wir kosten von den klaren Quellen und rasten unter einer Bergkiefer. Die Mutigen wählen beim Rückweg eine andere Route und seilen sich unter kundiger Anleitung in eine tiefe Schlucht ab.
Müde, aber glücklich sitzen wir wieder auf den Pritschen der Geländewagen. Auf der engen Piste streifen uns Lorbeer, Ginster und Riesenfarne wie grüne Pflanzenarme, die uns noch eine Weile festhalten wollen. Dann öffnet sich die Landschaft. Magisches Blau, mal heller, mal dunkler, blitzt durch die Zweige. Das Azur des Himmels und das Ultramarin des Meeres stoßen am Horizont aufeinander, wetteifern um die Gunst des Auges. Jorge, der Fahrer, hält am Wegrand, gönnt uns fünf Minuten andächtiger Versenkung in das Panorama und drückt uns die süßsauren Früchte eines wilden Mispelbaums als Erfrischung in die Hand.
Wie ein Faustkeil drückt sich das gebirgige La Palma aus dem Atlantik. Von Nord nach Süd durchzieht die »Cumbre« das Eiland wie ein topografisches Rückgrat. Im Inselsüden mit seiner jettschwarzen Lava-Landschaft ist der Boden unter den Füßen heiß. Vor noch nicht allzu langer Zeit, im Herbst 1971, spuckte der Vulkan Teneguía wochenlang Feuer
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und Rauch. Jetzt ist der kohlestaubdunkle Boden schon an vielen Stellen wieder mit jungen grellgrünen Pflanzen bedeckt.
Die nach Westen hin durch die »Schlucht der Ängste« zum Meer geöffnete Caldera de Taburiente gilt mit ihren mehr als sieben Kilometern Durchmesser und mehr als zweitausend Metern Tiefe als der größte erkaltete Vulkankrater der Erde. Heute ist das gesamte Gebiet unter Naturschutz gestellt und ein Paradies für Bergwanderer. Stolze zweitausendvierhundertsechsundzwanzig Meter ragt der Roque de los Muchachos als höchster Gipfel auf. Bezogen auf seine Gesamtfläche von nur gut siebenhundert Quadratkilometern ist La Palma die steilste Insel der Welt.
Schon im Flugzeug haben viele Passagiere Wanderschuhe an den Füßen. La Palma ist kein Massenziel, auch weil Strände eher rar sind und der Atlantik oft wild gegen die Küste anrennt. Es gibt nur zwei touristisch geprägte Orte: Puerto Naos im Westen und Playa de los Cancajos im Osten. Selbst die Hauptstadt Santa Cruz wirkt mit ihren bunt gestrichenen alten Häusern reichlich verträumt. Und ja, auch Fußfaule können hier glücklich werden. Die Insel lässt sich gut mit dem Leihwagen entdecken, auch wenn die Nordumfahrung mit ihren endlosen Kurven einen ganzen Tag dauert.
Wirklich erkunden lässt sich La Palma aber nur Schritt für Schritt. Rund zwei Dutzend Touren kann man sich vornehmen. Die kürzeste, der Spaziergang zum Krater des San Antonio, dauert ganze zwanzig Minuten. Die längste Strecke, mit Zeltübernachtung
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auf einem Hochplateau in der Caldera, zwei volle Tage. Alle Touren lassen sich dank
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