Lesereise Kulinarium - Italien
die mitgebrachten Essensreste aus dem Pommidoro hin, sammeln die Eier aus den Nestern, zapfen Wein. Beim Bäcker im Ort haben sie schon einen Sack frisches Brot geholt, Aldo hat Fisch bestellt am Telefon und Anna füllt eine Waschmaschine, die sie erst nächste Nacht leeren wird; gebügelt wird am Sonntag.
Kaum sechs Stunden hat die Ruhe gewährt, schon ist ein neuer Arbeitstag im Rollen, schon sitzen wir wieder im Mercedes Richtung Rom, unterwegs zum Großmarkt in Santa Lucia, um kistenweise Salat, Gemüse und Kräuter zu laden. »Das ist mein Moment der Entspannung«, sagt Anna, während sie auf dem Beifahrersitz die Zeitung entfaltet. Und Aldo, jetzt am Steuer, knurrt: »Ich habe keinen Augenblick Freiheit.«
Aldo hat, kaum dass der Rollladen des Pommidoro wieder hochgezogen ist, zu tun mit Lieferanten. Die Lämmer aus dem Molise treffen ein, das Schweinefleisch, Kaffee, Mineralwasser, gereinigte Tischdecken. Aldo kontrolliert alles, man muss auf der Hut sein »in diesen unehrlichen Zeiten«. Vom Pasta- Lieferanten verlangt er, dass der die Nudeln in einem besonderen, unüblichen Maß schneidet, damit er ihm keine Reste von gestern andrehen kann. Und bezahlt wird sofort in bar, damit es hinterher keine Händel gibt.
Es geht auf elf, Anna wirft die Gasflammen an, greift zur dreigezinkten Gabel, bereitet Saucen vor. Tochter Dina putzt Zichorie, Zamir schneidet Zucchini klein, Aldo steckt Lamminnereien auf den Grillspieß und wickelt Lammdarm darum, pajata heißt diese Spezialität.
Schwätzen wir von Familienangelegenheiten. Wie läuft das im Familienbetrieb? War kein bisschen Ernst dabei, als Amedeo gestern scherzte, die Schwiegersöhne würden sich am liebsten auf und davon machen? Wer bestimmt in der Familie, ist Aldo der große Patriarch?
O, welch Grinsen überläuft da die Gesichter der beiden Frauen. Anna wedelt verneinend mit dem Zeigefinger und Aldo fällt lachend ein: »Sie hat mehr Macht als ich, weil die Töchter immer auf ihrer Seite sind.« Nichts Genaues hört man nicht, Anna führt die Kasse, Aldo das Kommando, es kommt vor, dass aus der Küche lautstark seine Stimme dringt. Vermutlich muss man Italiener sein, um solch ein Familienleben in seinen tausend Tönungen zu fühlen. Jedenfalls sagt Aldo: »Ohne Familienangehörige gehst du ein mit einem solchen Betrieb, das ist ein anderer Geist.« Jedenfalls meint Mario: »Besser in der Familie arbeiten als unter einem Chef.« Und jedenfalls berichtet Amedeo, dass die Großfamilie im August, wenn der Pommidoro Sommerpause macht, gemeinsam in Urlaub fährt, letztes Jahr nach Griechenland, amici waren auch dabei, im Ganzen sechsunddreißig Personen. »Entweder sind wir verrückt oder wir mögen uns gerne«, sagt Amedeo. Dieses Jahr geht es nach Sardinien.
Dina schnippelt Bohnen, Aldo hackt nun Rindersteaks und Anna richtet einen Kalbsrollbraten her. »Schau her«, ruft sie. »Es muss das Rückenstück vom Kalb sein, die Rippen werden ausgebeint.« Man nehme also Karotten, Schweinebacke, Sellerie, gekochte Eier und Butter, lege dies auf dem Rückenstück längs in einer Reihe aus, würze mit Pfeffer, Salz und Rosmarin. Sodann wird die Füllung in den Fleischlappen eingewickelt und verschnürt. Anna packt die dreigezinkte Gabel, dreht die Flamme auf, die Hitze wallt, das Fleisch kommt in den Topf. Bald wird Aldo wieder die Serviette schultern, ein Schwiegersohn wird die erste Portion spaghetti alla carbonara ordern, gegen Abend werden Anna und Aldo ein Stündchen vor dem Fernseher dämmern und dann wird es wieder Nacht.
Anna zieht die weiße Schürze und die Haube aus, die sie seit dem Morgen trägt. Den Dreizack hat sie fortgelegt, die Flammen gelöscht, längst ist das Rattern des Kreditkartengeräts und das Klappern der Geschirrwäsche verklungen. Wie immer und noch immer ist Anna gut gelaunt, als schöpfe sie aus ihren Töpfen schiere Lebenslust und Kraft. Sie hat vorhin Benito mit einer Melonenschale verfolgt und grinsend ein Schlagerchen geträllert: »Das Leben ist ein Paradies der Lügen.« Da durfte Aldo sich gefoppt fühlen: »Er hat mir ein schönes Leben versprochen, und jetzt das hier.« Und nun, Anna? Nicht müde nach der Schlacht? »Nein«, sagt Anna und lacht, »jetzt würde ich tanzen gehen.« Und hat den ganzen Tag noch nichts gegessen als ein Stückchen Fisch.
Klaus Brill
Kreuzzug für die Pizza
Wie Römer, Amerikaner und EU-Bürokraten Kulturgut verschandeln
In Amerika, so wird erzählt, halten sie die pizza tatsächlich für ihre
Weitere Kostenlose Bücher