Lesereise Kulinarium - Italien
eigene Erfindung. Und das ist noch nicht einmal verkehrt, denn was in den USA in Pizzerien und Fast-Food-Ketten als pizza verkauft wird, hat mit dem Original so viel zu tun wie der Dackel mit dem Wolf.
Vor ein paar Jahren hat ein amerikanischer Präsident zum ersten Mal eine neapolitanische pizzeria besucht, ein ebenso typisches wie enges Loch an der Via dei Tribunali. Das Foto kam in die Weltpresse, doch niemand erfuhr, wie enttäuscht der pizzaiolo war vom damals mächtigsten Mann der Welt: Bill Clinton war die ihm angebotene Napoletana viel zu karg vorgekommen und er hatte gefragt, ob man nicht noch etwas drauflegen könne. Paprika, salami und, warum nicht, auch noch ein paar Pilze. Genau wie in Amerika.
Für die Geschichte verbürgen sich enge Freunde von Clintons Pizza -Bäcker; er selbst erzählt sie nicht so gern, denn die Fotos des Präsidenten hängen noch immer in seiner Bude.
Weil die Neapolitaner neugierig sind, Amerikaner mögen und sich überhaupt allen Fremden gegenüber verpflichtet fühlen, gehen sie gern dort essen, wo der Präsident seine pizza verzehrt hat. Auch wenn der nichts von der pizza verstehen mag, ist er doch als Reklamefigur am Decumano Maggiore vermutlich nur noch vom Papst zu übertreffen.
Der Papst lebt in Rom, und dort sagen sie verächtlich è una pizza , wenn sie ausdrücken wollen, dass etwas langweilig, ja störend ist. Die römische pizza ist ein Abklatsch des neapolitanischen Originals, ihr Teig ist so dünn, dass man den Teller darunter ahnen kann, er matscht unweigerlich nach fünf Minuten durch, dann vermengt sich die Tomatensauce darauf mit dem schwarzen Pizza -Boden, und die ganze pizza schmeckt nach Holzkohle. Das ist Rom, wo sie längst pizza mit Speck oder Kartoffeln verkaufen, pizza mit Nutella oder pizza mit bresaola und rucola , so wie sie vermutlich auch ihre eigene Großmutter verkaufen würden und die Fontana di Trevi – der legendäre neapolitanische Komiker Totò hat das schon richtig erkannt. Richtige Römer mögen keine echte pizza , sie rümpfen tatsächlich die Nase über das einfachste und edelste Gericht der neapolitanischen Küche, sie meinen, auch das könnten sie noch besser, und es ist unnachahmlich, wie römische Damen in der pizzeria befehlen: »Mi raccomando la pizza . Sottile, sottile.« Sie haben keine Ahnung, genau wie die in Brüssel.
Vor ein paar Jahren wollte die EU -Kommission eine Richtlinie erlassen, eine Norm für die pizza . Achtundzwanzig Zentimeter Durchmesser groß, zweihundert Gramm schwer, der Rand nicht höher als fünfzehn Millimeter. Eine Art DIN für Tiefkühl- Pizza , so viel war eigentlich klar, aber in Neapel fanden sie die Sache nicht lustig. Die Pizza -Bäcker probten den Aufstand, die Zeitungen liefen mit Protestschreiben über und aus Brüssel kam ein halbes Dementi: »War nicht so gemeint, ihr könnt weiterbacken.« Bis zur nächsten Norm. Da wollten sie nämlich dem Holzofen an den Kragen, zu unhygienisch, womöglich krebserregend, was man sich eben als Brüssel-Bürokrat so einfallen lassen kann an einem verregneten Tag mit einem von Pommes frites beschwerten Magen.
Ganz Europa wird vielleicht eines Tages die Brüsseler Norm- Pizza essen, nur die Neapolitaner nicht. Um ihr angestammtes Kulturerbe und ihren Berufszweig zu schützen, haben sich die pizzaioli zu einem mächtigen Verband zusammengefunden, der Associazione Vera Pizza Napolitana. Ihr Symbol ist ein pulcinella, eine Narrengestalt, mit einem Pizza -Brett, wie es für den Holzofen benötigt wird. Im Hintergrund raucht der Vesuv, es ist das Emblem für einen Kreuzzug.
Seit der Gründung 1984 tragen viele pizzerie in Neapel und neuerdings auch in anderen Städten das Vereinssymbol neben dem Wirtshausschild, versehen mit einer Nummer. Die Nummer 1 befindet sich neben der Kirche Santa Brigida unweit der Via Toledo: Hier residiert seit 1850 Ciro a Santa Brigida, eines der renommiertesten Lokale der Stadt. Der Besitzer Antonio Pace backt im Lokal seiner Großeltern schon lange nicht mehr selbst die pizza . Durch und durch Geschäftsmann ist er: teure Krawatte, feine Brille, Maßanzug. Nur der fesche Schnurrbart ist aus seinen eigenen Pizza -Bäcker-Zeiten geblieben. Und obwohl sein Nachname Pace übersetzt nichts anderes als Frieden bedeutet, ist Don Antonio heute der Wortführer der ganzen Zunft. Jedes Mal, wenn in Brüssel eine neue Absurdität erfunden wird, geht er auf die Barrikaden. »Das fehlte noch, dass die Nordlichter uns erzählen, wie man richtig
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