Lesereise Kulinarium - Spanien
torero .
Der churrero steht tagein, tagaus vor einem Aluminiumkessel, in dem siedend heißes Öl brutzelt. Ab und zu tritt er nach draußen auf den Bürgersteig und raucht hastig eine Zigarette. Meistens jedoch hat er an seinem Arbeitsplatz reichlich zu tun. Er achtet auf die richtige Temperatur des flüssigen Fetts, gibt mit einer Art metallischer Spritzpistole die langen, bleichen Teigwürste hinein, die als helle, dickliche Rührmasse in einem Behältnis über dem Kessel lagern. Anschließend wendet er die Spiralen, damit sie beidseitig gebacken werden, hebt sie mit einem spießförmigen Utensil heraus, lässt sie abtropfen, schneidet sie mit einer Schere in etwa fünfzehn Zentimeter lange Stücke und legt die Kringel schön säuberlich auf die bereitstehenden Teller.
Churros , lese ich in meinem Wörterbuch, sind eine Art Spritzkuchen und werden in Öl gebacken. Das stimmt. Aber churros sind viel mehr. Nämlich ein andalusisches Grundnahrungsmittel, für Südspanien mindestens so typisch wie Stiere, Sherry, Osterprozessionen und Flamenco . Oft genug ist es in einer churrería unmöglich, einen Sitzplatz oder auch nur einen Stehplatz an der Theke zu ergattern. Zumal vormittags, sagen wir so zwischen zehn und dreizehn Uhr. Für die Spanier die Zeit des zweiten Frühstücks. Oder des ersten Frühstücks, denn viele Einheimische gehen morgens mit leerem Magen aus dem Haus.
Der churrero macht sie alle glücklich. Die Naschkatzen und die Heißhungrigen. Den jungen Mann in Anzug und Krawatte genauso wie die Mutter mit dem quengelnden Kleinkind. Den älteren Herrn, der geduldig seine Zeitung liest, ebenso wie die Schülerinnen, die eifrig in ihre Hausaufgabenhefte schreiben. Marktfrauen, Rentner und Hausmütterchen, der Verkehrspolizist, das tatterige Ehepaar und die Kassiererin aus dem Supermarkt vis-à-vis – alle, ausnahmslos alle bestellen eine Portion Spritzgebäck, tunken es mal verträumt, mal hastig in ihren Milchkaffee oder in heiße Schokolade. Es gibt sogar welche, die zu ihren churros Bier trinken. Oder gleich nach einer doppelten Portion des knusprigen, goldgelb leuchtenden Gebäcks verlangen.
Es herrscht eine heitere, unverkrampfte, bald hektische und im nächsten Moment wieder völlig entspannte Atmosphäre. Beste Voraussetzung, um den Andalusiern beim Leben zuzuschauen. Geschirr klappert. Die Kaffeemaschine zischt. Serviettenfetzen und leere Zuckertütchen fallen zu Boden. Die Gäste schnattern. Die Kellnerinnen und Kellner schlängeln sich mit Engelsgeduld zwischen den Tischen und Stühlen hindurch. Und aus den hoch unter der Decke schwebenden Lautsprechern schmalzt Julio Iglesias. Zuckersüß, unverfänglich und für Fremde gelegentlich genauso schwer verdaulich wie ein Teller voller churros an einem beliebigen Vormittag in Andalusien.
Georges Hausemer
Der Duft nach Flirt und Verführung
Von Orangen, ihren Blüten und dem aussterbenden Beruf des Orangenbauern
Gestern Abend war er plötzlich da. Der sanfte Wind hat ihn gebracht, heraufgeweht aus dem Tal. Dem ungewöhnlich kühlen Frühjahrssturm der Tage zuvor war das nicht geglückt. Zu hart war der Wind, zu filigran ist dieser Duft, dieser Geruch nach Flirt und Verführung, nach Leichtigkeit und Süden. Es ist das Aroma der Costa Blanca, der Geruch der Orangenblüten auf den unzähligen Plantagen entlang der Küste zwischen Valencia und Alicante. In der Kälte der letzten Tage wollten sich die Blüten nicht öffnen – jetzt taten sie es. Und der Wind verteilt den Geruch, legt ihn als zarte Wolke, als diskretes Parfum über Hügeln und Häusern ab.
Wie vergessener Weihnachtsschmuck hängen Orangen dicht an dicht in den Bäumen der Plantagen, die sich von der Küste bis weit ins Hinterland an den Fuß der Sierras erstrecken. Die Früchte strahlen so intensiv, als wären sie von innen beleuchtet. Die Sortenvielfalt macht es in dieser Region heute möglich, von Oktober bis Juli Orangen mit unterschiedlichen Ansprüchen an das Klima ernten zu können. Die meisten werden bis Ende März gepflückt sein, und die Mehrzahl der Orangenbäume steht dann bereits wieder in voller Blüte. Viele blühen und tragen zur selben Zeit – an ein und demselben Ast. Der ewige Kreislauf beginnt aufs Neue.
Am intensivsten ist der Duft im März. Über der Küste liegt dann mancherorts ein süßlicher Hauch von Chanel und Lagerfeld, von Calvin Klein und Paco Rabanne – als wäre in einer viele Dutzend Quadratkilometer großen Parfümerie ein riesiges Regal voller
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