Lesereise Schottland
beschließt er, an der Rundfahrt um Skye teilzunehmen.
Angus ist Mitte zwanzig. Er ist Gelegenheitsarbeiter. »Mal beim Straßenbau, mal fahre ich Kohlen in einem Lieferwagen aus«, sagt er, »aber zurzeit bin ich arbeitslos.« Er wünscht sich, dass er im Winter von Skye weg kann. »Es ist wild hier«, sagt er, »aber im Sommer ist es erträglich. Da ist die Insel voller Touristen.«
Neben dem Tourismus lebt Skye vor allem von der Landwirtschaft. Noch vor zweihundert Jahren wurde das Land nach einem besonderen System, dem Run-Rig, verteilt: Jede Parzelle oder croft wechselte alle zwei oder drei Jahre den Besitzer, sodass jeder Kleinbauer den gleichen Anteil an gutem und schlechtem Ackerboden bekam. Das Weideland auf den Hügeln blieb im Allgemeinbesitz. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts änderte man dieses System. Von nun an behielten die Kleinbauern dieselbe Parzelle, weil die Landbesitzer davon ausgingen, dass sie sich dann stärker mit der croft identifizierten.
Heute gibt es knapp neunzehnhundert crofts auf Skye, aber nur rund hundert sind groß genug, dass ein Pächter davon leben kann. Industrie gibt es kaum. Die jungen Leute müssen sich auf dem Festland Arbeit suchen, sodass die Pensionäre auf Skye in der Mehrheit sind. Noch 1840 lebten dreiundzwanzigtausend Menschen auf der Insel, heute ist es nicht mal ein Viertel davon.
Hinter Uig an der Westküste von Trotternish geht rechts eine Straße nach Vaternish, einer weiteren Halbinsel, ab. Die beiden Halbinseln sehen auf der Landkarte aus wie Flügel. »In Gälisch nennt man Skye auch Eilean Sgiathanach«, sagt Angus, »die geflügelte Insel.« Im Südwesten von Vaternish, am Loch Dunvegan, steht hoch auf einem Felsen das Dunvegan Castle. Es ist die älteste Burg in Großbritannien, die ununterbrochen von ein und derselben Familie bewohnt wurde – den MacLeods. Der Clangründer war der jüngste Sohn von Olaf, einem der letzten norwegischen Könige der Isle of Man. Wenn man die Gärten vor der Burg betritt, steht man in einer völlig anderen Landschaft: blühende Sträucher, bunte Blumen, dichte Hecken und ein gepflegter englischer Rasen. »Die alten chiefs wussten, wie man sich einrichtet«, meint Angus.
Aber sie wussten auch, wie man mit Feinden fertig wurde: In den Felsen unter der Burg ist ein Verlies eingehauen, in das im 14. Jahrhundert unliebsame Personen geworfen wurden. Heute können Besucher von oben durch ein Gitter hinabblicken. Unten liegen zwei lebensgroße Puppen, aus einem Tonband dringt erbärmliches Stöhnen nach oben. Gleich neben dem Loch zum Kerker befindet sich der große Salon mit dem »Feenbanner«, dem »wertvollsten Besitz des clans «, wie John MacLeod of MacLeod, der neunundzwanzigste chief, sagt. Die Fahne ist aus syrischer Seide, sie ist etwa fünfzehnhundert Jahre alt. Man sagt ihr magische Kräfte nach: Dreimal, so heißt es, könne sie den clan MacLeod in großer Not retten. Zweimal soll sie in der Vergangenheit bereits erfolgreich enthüllt worden sein.
Von Dunvegan ist es nicht weit bis Drynoch, wo die Straße nach Glen Brittle in den Cuillin Hills – oder Coolins – abbiegt. Die Berge ragen praktisch direkt aus dem Meer fast tausend Meter hoch auf, und die Kuppen sind bis weit ins Frühjahr hinein schneebedeckt. »Die Natur muss etwas Besonderes im Sinn gehabt haben, als sie die Berge von Coolins gegen das Licht der Sonne stellte«, schrieb Henry Vollam Morton, »ich kann mir schon vorstellen, dass ein Mensch, der zu Neurosen neigt, vor diesen Bergen wie vor dem Teufel flieht.« Viele Bergsteiger unterschätzten die Cuillins, meint Angus: »Es kommt hin und wieder zu tödlichen Unfällen.« Glen Brittle besteht lediglich aus einer Farm, die Straße führt mitten durch den Hof zum Loch Brittle. Das Wetter lädt nicht gerade zum Baden ein, und so sitzen acht Urlauberfamilien in ihren Autos und picknicken im Trockenen. Am Ufer befindet sich eine »Haltestelle«: Im Sommer fährt ein Bus an Werktagen dreimal täglich nach Portree.
Angus will jetzt aber zum Loch Harport auf der Halbinsel Minginish. Auf einer kleinen Straße geht es steil hinab zum See. Rechts liegt das Old Inn, eine winzige Kneipe am Wasser, doch ein Stück weiter zieht sich ein moderner Flachbau am Ufer entlang. Hier wird der bekannteste Exportartikel der Insel hergestellt: Talisker Whisky. Robert Louis Stevenson hat das hochprozentige Gesöff in einem Gedicht als »König der Getränke« gepriesen. Auch James Boswell, Samuel Johnson und Walter Scott
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