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Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Gayton
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sollte, am Ende nur eine Lüge gewesen?
    »Los, komm!«, sagte Noah. »Er hat einen ziemlichen Vorsprung und längere Beine als wir. Wir müssen den Frostspuren folgen!«
    Und schon schossen sie die Essiggasse hinunter, immer den Fußspuren hinterher, die in die Eisschicht über dem Kopfsteinpflaster eingestanzt waren.

9. Kapitel
    Die Hilfe des Windes

    Kaum neunzig Schritte vom Gasthaus Zum Schimmel entfernt hatten sie sich schon verlaufen. Die Fußspuren des Schneehändlers führten sie im Kreis, liefen kreuz und quer und wild durcheinander.
    »Er versucht uns abzuschütteln«, sagte Noah. »Er wusste, dass wir ihm folgen würden.«
    »Entweder das, oder er hat sich selbst genauso verirrt wie wir«, gab Lettie zu bedenken.
    »Auf jeden Fall hat er immer noch einen riesigen Vorsprung. Wir müssen eine Abkürzung finden.«
    Aber Lettie kannte keine Abkürzung. Durch ein Fernrohr betrachtet sah Tauschdorf ganz anders aus. Hier unten waren alle Straßenschilder schmutzverkrustet und die kopfsteingepflasterten Straßen glitschig von Wal-Tran und Bier. Betrunkene Matrosen saßen unter flackernden Gaslaternen.
    »Die Matrosen da werde ich jedenfalls nicht nach dem Weg fragen«, sagte Lettie. »Die wissen doch nicht mal mehr, wo oben und unten ist.«
    »Und was ist mit dem Wind?«, schlug Noah vor.
    Sie verdrehte die Augen. »Du erwartest doch nicht etwa, dass mir der Wind eine Abkürzung zeigt, oder?«
    »Wieso nicht? Er ist doch dein Freund. Er könnte dir zumindest die richtige Richtung weisen.«
    »Selbst wenn ich ihn wirklich fragen würde – ich glaube kaum, dass er mir überhaupt zuhören würde«, sagte Lettie.
    »Muss er aber«, beharrte Noah. »Das machen beste Freunde doch schließlich so.«
    Wieder mal hatte Noah recht. Wenn der Wind Letties Hilferuf ignorierte, war er nicht ihr Freund. Sie schloss die Augen und setzte zu einem geflüsterten Gebet an die Luft um sich herum an.
    »Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst, Wind. Du hast ja vermutlich nicht einmal Ohren. Und ich weiß, dass du mich noch nie nach Tauschdorf hast gehen lassen. Aber heute ist es ernst, Wind. Ich habe mich verlaufen. Ich kenne Tauschdorf nicht, aber du umso besser. Jede einzelne Gasse dieser Stadt pfeifst du entlang. Du kannst mir bestimmt eine Abkürzung zum Hafen zeigen. Bitte. Bitte!«
    Sie zog einen Handschuh aus, streckte eine Hand aus und … das Wunder geschah fast sofort. Lettie spürte, wie etwas an ihr zog. Der Wind.
    Es war, als hätte eine unsichtbare Hand die ihre gepackt. Sie lachte vor Freude über dieses unerwartete Wunder und begann so schnell zu rennen, dass Noah kaum mithalten konnte.
    »Wo willst du hin?«, rief er, und Lettie rief über die Schulter zurück: »Ich fühle es! Du hattest recht, Noah! Folg mir, ich kenne den Weg!«
    Tatsächlich, der Wind sprach zu ihr. Nicht mit Worten, sondern durch Stupsen, Ziehen und Schieben. Lettie konzentrierte sich auf das Gefühl, folgte dem Wind in die Richtung, in die er sie zog. Durch Seitengassen und dunkle Straßen ging der Weg, und immer begleitet von der Hoffnung, den Hafen zu erreichen, bevor der Schneehändler entkommen konnte.
    Die Jagd war eröffnet. Und Lettie hatte eine Gabe entdeckt, eine ganz besondere Macht: Sie konnte sich vom Wind an der Hand führen lassen. Sie konnte sich von ihm leiten lassen, wenn sie den Weg nicht selbst wusste.
    Der Wind und die Hoffnung geleiteten sie durch enge Gassen, in denen der Geruch nach Schimmel und Bier meterhoch stand. Sie hüpften von einem Schatten zum nächsten, und Lettie wusste nie, ob sie als Nächstes links, rechts oder geradeaus mussten. Noah folgte Lettie, und Lettie folgte dem Wind.
    Sie hasteten durch die Trommelgasse, wichen den Straßenlaternen aus und schlichen an zumeist dunklen oder mit Gardinen behängten Fenstern vorbei. Dann verlor Lettie auf einmal die Hand des Windes, und sie mussten ein gutes Stück zurückgehen, um sie wiederzufinden.
    Sie rannten über die Pökelbrücke, durch die Jauchegasse und die Laugenallee. Sie schoben sich auf Zehenspitzen durch Gassen, in denen Netze und Taue vor sich hin rotteten. Mit jedem Meter wurde der salzige Geruch des Meeres stärker. Schließlich kamen sie neben einem verhedderten, mit Korken gesäumten Haufen Tauwerk zum Stehen.
    »Weiter, weiter«, keuchte Noah. »Wir müssen ihn unbedingt einholen.«
    »Nein, ich muss erst mal wieder zu Atem kommen«, sagte Lettie. Das Herz rasend, lehnte sie sich an ein Fenstersims, das schon ganz weichgerottet war. Vor

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