Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
kichernd.
Blüstav schrie auf, als die zornige Wolke in seinem Mantel zu donnern begann.
»Du … ahhh! … dummes … ahhh! … Gör!«
»Blüstav, der Ballon«, sagte Noah und ließ sich wieder auf die Leuthas Holz fallen.
»Jetzt haben wir ihn und die Wolke. Gut geschaltet, Noah.«
Bis oben hin voller Adrenalin und Erschöpfung, standen die beiden Freunde da, den Blick nach oben gerichtet – und fingen an zu lachen. Es war eine halbe Stunde nach Mitternacht. Der neue Tag war noch so jung, und trotzdem hatten sie schon einen Diebstahl verhindert, sich vom Wind leiten lassen, einen Alchemisten gefangen genommen und eine Großmutter gerettet. Und endlich würde Lettie ein paar Antworten bekommen.
»Sie haben mir einiges zu erklären, Blüstav.«
»Bevor ich das tue«, sagte er und wippte in der Luft ängstlich auf und ab, »solltet ihr … ahhhh! … möglichst schnell ablegen.«
Während er das sagte, sah er zum Steg hinüber.
Wo die Glotzerin und das Walross – klomp, klomp, klomp – über die Planken angetrampelt kamen, direkt auf die Leuthas Holz zu.
»Oh nein«, seufzte Noah.
Die Glotzerin hatte eine Hand, die dumpf nach Kleingeld klimperte, in die Tasche gesteckt. In der anderen hielt sie die zweite Silberpistole. Dem Walross dampfte der Kopf vor Zorn und Tee. Und Lettie verstand, dass Hass ebenso von einem Menschen Besitz ergreifen konnte wie Gier.
»Mit der Schneewolke geben die sich jetzt nicht mehr zufrieden«, sagte sie. »Die wollen Rache.«
»Genau wie ich – wenn diese Wolke … ahhh! … endlich aufhören würde, mir Stromstöße zu verpassen«, sagte Blüstav zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Aber jetzt schlage ich erst mal vor, dass wir gemeinsam entkommen.«
»Und warum sollten wir Sie nicht einfach zurücklassen?«, fragte Noah und stieß mit seinem Dorn in Blüstavs Richtung.
Dem Alchemisten standen zwar die Haare zu Berge, und seine Zähne vibrierten vor Elektrizität, aber er brachte dennoch ein mühsames Lächeln zustande.
»Wenn ihr mich über Bord schmeißt, erfährt Lettie nie etwas über ihre Mutter.«
Noah runzelte die Stirn. »Deswegen haben Sie ihr also verraten, dass Sie sie gekannt haben. Damit Sie etwas in der Hand haben für den Fall, dass wir Sie doch erwischen.«
»Meine Mutter, ich, der Schnee …«, sagte Lettie. »Ich will alles wissen. Alles, Blüstav, schwören Sie es?«
Er nickte eifrig. »Ja, ja, ich … ahhh! … schwöre es!«
Die zwei Frauen waren inzwischen in Rufweite. Die Glotzerin verfluchte den Alchemisten auf Bohemienisch, das Walross auf Laplöndi.
»Abgemacht … ahhh!?«, kreischte Blüstav.
Lettie sah auf ihren Vater, der jetzt nur noch eine grüne Flasche in ihrer Hand war. Sie sah zu den beiden Frauen, die auf sie zugerannt kamen, Habgier und Rachegelüste im Blick. Sie sah Noah an. Er erwiderte ihren Blick und nickte.
Lettie schluckte. »Abgemacht, Blüstav. Und jetzt erst mal weg hier.«
Und auf ihr Kommando blies der Wind los.
Teil II
Auf hoher See
Die Alchemie ist eine artige Sorte von Spiel,
den Kartenkünsten fast vergleichbar,
die uns mit Blendwerk täuschen.
Ben Jonson, Der Alchemist (Dt. von Wolf Graf von Baudissin)
1. Kapitel
Die Wahrheit kommt ans Tageslicht
Es war ein Uhr, in einer stürmischen Nacht in Albion. Der Mond hing rostfarben am Himmel, das Meer schimmerte kohlenschwarz. Die Leuthas Holz trieb aus dem Hafen in die Welt dahinter. Es war das erste Mal, dass Lettie auf See war. Sie stand an Deck, sah die Lichter der Essiggasse schwächer werden und fragte sich, wohin die Reise sie wohl führen würde. Langsam gewann das Boot an Fahrt.
»Noah? Wieso setzt du die Segel?«
»Bisher hat uns der Wind auch immer geholfen«, rief er, zerrte an der Takelage und knüpfte komplizierte Knoten. »Und irgendwie habe ich so das Gefühl, dass die zwei alten Schabracken nicht so einfach aufgeben werden.«
Lettie fröstelte in ihrer Wildlederjacke. Noah hatte recht. Das Walross und die Glotzerin gierten nach dem Schnee, und sie würden nicht ruhen, bis sie ihn in ihren Besitz gebracht hatten.
»Der Wind wird das Schiff steuern«, erklärte Noah. »Ich kümmere mich um die Segel und du dich um Blüstav!«
Lettie verzog das Gesicht. Na wenigstens das hatten sie geschafft: den Alchemisten gefangen.
»Willst du mir deinen Vater geben?«, fragte Noah. »Ich hab da ein Regal, auf dem ich ihn festmachen kann. Da ist er in Sicherheit.«
Lettie reichte ihm die Flasche, und er brachte sie
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