Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Blüstav?«, fragte Teresa.
»Weil man darauf seine alchemistischen Substanzen fein säuberlich aufreihen kann. Zweitens: einen Kessel.«
»Warum, Meister Blüstav?«
»Darin mischt man alle Zutaten. Und drittens: eine Bibliothek voller seltener und geheimnisvoller Bücher.«
»Was macht man damit?«
»Man sitzt vor ihnen und schaut darauf und denkt darüber nach, wie schlau sie einen gemacht haben.«
Er zeigte um sich, zeigte Teresa den Ofen und den Blasebalg, die Wasserpumpe, die Lehnsessel und das Fenster. »Alles andere«, sagte er und klatschte in die Hände, »ist nur Luxus. So, und jetzt werde ich dich prüfen, Teresa. Dieselbe Aufgabe hat mein Meister mir gestellt, als ich sein Lehrling wurde. Ich möchte, dass du den Kessel verwandelst, und zwar in …« Blüstav sprach das Erste aus, was ihm in den Sinn kam. »… in Gold. Einen riesigen Haufen pures Gold.«
»Warum, Meister Blüstav?«
Dass Teresa so viele Fragen stellte, brachte den Alchemisten schier um den Verstand. Vor allem die kurze Warum-Frage machte ihm zu schaffen. So eine einfache Frage, aber er musste sich darauf die kompliziertesten Antworten ausdenken.
Weil es mich reich machen wird , dachte er aufgeregt.
»Weil es eine gute Lektion in Alchemie ist«, sagte er mit ernster Miene.
»Aber ich weiß doch längst, wie man Gold macht«, gab Teresa zurück. »Das ist nur ödes gelbes Zeug. Lehren Sie mich etwas anderes.«
Blüstav knirschte mit den Zähnen. Er würde wohl eine andere Möglichkeit finden müssen, durch Teresa reich zu werden.
»Also gut«, sagte er. »Verwandle den Kessel in …«
In seinem Kopf kreisten viele Varianten wild durcheinander. Ein Huhn? Ein Ei? Eine Uhr? Einen Morgenmantel? Einen Lampenschirm?
»Ein Boot«, legte er sich schließlich fest.
Teresa ging zu den Bücherregalen und ließ den Blick über die Buchrücken wandern. »Die handeln alle nur davon, wie man Gold herstellt.«
Blüstav kicherte. Hatte sie etwa erwartet, ein Buch namens Wie verwandelt man Kessel in Boote zu finden?
Nach einer Weile entfernte sich Teresa wieder von den Regalen.
»Versuch’s doch wenigstens«, sagte Blüstav enttäuscht.
»Mach ich auch«, sagte sie.
Damit drehte sie die Wasserpumpe auf, flutete das Labor und stieg in den Kessel.
»Fertig«, sagte sie. »Jetzt ist der Kessel ein Boot.«
»So was nennt man Schummeln!« Blüstav war gleichermaßen wütend darüber, dass sie ihn reingelegt hatte, wie über seine nassen Füße.
»Nein, das nennt man Einsatz seiner Vorstellungskraft«, widersprach Teresa.
»Im Kopf eines Alchemisten hat Vorstellungskraft nichts zu suchen«, sagte Blüstav.
Teresa seufzte. »Meister, Alchemie findet erst im Kopf statt und dann außerhalb.«
Von da an grübelte Blüstav Tag und Nacht, wie er Teresa am besten ausnutzen sollte. Er wollte sie dazu bringen, ihn reich zu machen. Aber das Mädchen war einfach zu schlau und stur und stellte zu viele Fragen. Daran, dass sie Blei einfach in Gold verwandelte, war nicht zu denken. Blüstav brauchte eine Lüge, die wasserdichter war als alle, die er ihr bisher aufgetischt hatte.
Und dann hatte er eine Idee.
»Teresa! Ich werde dich weiteren Prüfungen unterziehen, und jede wird auf ihre Art sehr schwierig sein. Vertrau deinem Meister. Wenn du alle Prüfungen bestehst, wirst du der größte Alchemist aller Zeiten sein.«
Und so lautete Blüstavs Plan: Er würde jede alchemistische Substanz, die Teresa herstellte, an die Reichen und Berühmten verkaufen. Das war die größte Lüge seines Lebens, und Teresa kaufte sie ihm ab, ohne zu zögern.
Und so bereiste Blüstav die Welt, sprach mit den Mächtigen und Reichen, und sie erzählten ihm von ihren Sehnsüchten:
»Ich möchte sieben Finger an einer Hand haben«, sagte ein Konzertgeiger aus Edenborg. »Ich bezahle Sie dafür in Gold.«
»Ich möchte mit Diamanten besohlte Schuhe«, sagte der Herzog von Madri. »Ich zahle in Silber.«
»Ich brauche Flohtinktur für meinen Sohn«, sagte der Zar von Prossien. »Ich zahle in Platin.«
Teresas Alchemie erfüllte jeden Wunsch, und Blüstav strich dafür jede Menge Gold, Silber und Platin ein. Seine Kunden waren sich einig, dass er wahrlich der größte Alchemist seiner Zeit war. Keiner ahnte je etwas davon, dass es in Wahrheit sein Lehrling war, der die unfassbaren Verwandlungen vollzog.
Die Lüge konnte nicht von Dauer sein. Blüstav bemerkte in seiner Besessenheit nach Gold, Silber und Platin nicht, dass Teresa sich veränderte. Aber sie tat es.
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