Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Gayton
Vom Netzwerk:
noch.
    Blüstav näherte sich dem Rezept, das Teresa in der Hand hielt. Vorsichtig nahm er es an sich. Dann las er die letzte Zeile, die einzige, die er verstand.
    »Ganz zuletzt Wasser hinzufügen«, murmelte er.
    Teresa verschlief es, wie er einen Eimer mit Wasser füllte und über die Wolke kippte. Als die ersten Schneeflocken fielen, wich er zurück.
    »Diamanten«, keuchte er. »Sie hat herausgefunden, wie man Wasser in Diamanten verwandelt.«
    Für Blüstav war dies noch unglaublicher, als Blei in Gold zu verwandeln. Sofort regte sich die Gier in ihm, wie ein wildes Tier, das nur einen langen Winterschlaf gehalten hatte und nun wieder erwachte. Er begehrte den Schnee, wie er noch nie etwas begehrt hatte. Und weil seine Vorstellungskraft zu mehr nicht reichte, beschloss er, ihn zu stehlen. Was auch sonst? Sein Leben lang war er schon ein Dieb gewesen. Seine Handflächen kribbelten und auf einmal hielt er einen Haufen Diamanten in den Händen.
    Aber sie schmolzen zu einer Pfütze dahin.
    »Es ist doch nur Wasser«, murmelte Blüstav niedergeschlagen. Beinahe hätte er losgelacht: Zum ersten Mal hatte Teresa nun ihn ausgetrickst, und das auch noch im Schlaf.
    Aber dann kam ihm ein Gedanke: Wenn er auf den Trick mit dem Schnee hereingefallen war, dann würde es jedem anderen auch so ergehen. Wenn er die Wolke an sich nahm, konnte er die Schneeflocken als »Diamanten« verkaufen und entkommen, bevor sie schmolzen. Eine Lüge, die Blüstav sowohl das Vermögen als auch die Rache bringen würde, nach denen er sich so verzehrte.
    Auf Teresas Tochter und auf den Grund, warum sie den Schnee wohl zum Überleben bräuchte, verschwendete er keinen Gedanken.
    Während Teresa immer noch schlief, den Kopf auf ihren Schreibtisch gelegt, packte Blüstav die Wolke in einen Koffer. Er stopfte sich so viele alchemistische Substanzen wie möglich in die Manteltaschen und schlich sich dann aus dem Labor. Leise schloss er die Tür hinter sich, wich mehrere Schritte zurück und tastete nach einem der Ätherfläschchen, die er mitgenommen hatte.
    Er schleuderte die Phiole mit aller Macht gegen die Tür. Hundert Tropfen Äther besprenkelten das Holz, die Türangeln, die Klinke, das Schloss und vereisten jeden Fluchtweg. Es würde lange, sehr lange dauern, bis die Wirkung des Äthers nachließ.
    Blüstav lächelte bei dem Gedanken, dass Teresa nun in ihrem Labor gefangen war. Das war die rechte Rache für das, was sie ihm damals angetan hatte. Triumphierend stapfte er die Stufen zum Steg hinunter und machte sich mit dem einzigen Ruderboot auf den Weg zum Ufer.
    Und er warf keinen einzigen Blick zurück.

3. Kapitel
    Rauchzeichen aus der Ferne

    »Das war vor zehn Jahren«, sagte Blüstav. »Seitdem bin ich von Stadt zu Stadt gereist, rund um die Welt. Ich gehe irgendwohin, flöße meinen Kunden Äther ein, gebe vor, ihnen Diamanten zu verkaufen … und verschwinde dann mit ihrem Geld, bevor der Schnee geschmolzen ist.«
    Während er erzählte, hatte sich in Letties Herz ein ungeheurer Hass auf Blüstav aufgestaut. Der Mann hatte sein Leben lang gelogen, betrogen und Letties Mutter auf einem Eisberg eingefroren. Er war der widerwärtigste, egoistischste Mensch, dem sie je begegnet war.
    Und es war ihm völlig egal!
    »Wieso sind Sie zu mir gekommen?«, knurrte Lettie.
    Blüstav schenkte ihr ein habgieriges Lächeln, aber seine Augen wirkten beunruhigt. Und diesmal konnte Lettie problemlos darin lesen – in ihnen lag dieselbe Verschlagenheit, wie sie sie schon einmal erkannt hatte. Seine Augen durchsuchten seinen Kopf nach einer passenden Antwort.
    Nein, nicht nach einer Antwort , verbesserte sich Lettie stumm. Nach einer Lüge. Er versucht eine Lüge zu finden, die er mir auftischen kann.
    Und das kam ihr erst mal seltsam vor. Aber dann hatte Blüstav seine Lüge auch schon gefunden: »Es war ein Experiment, würde ich sagen.«
    Es war keine besonders gute Lüge, aber er sprach sie so offen aus, dass Lettie zumindest kurzzeitig die Wahrheit vergaß: dass Blüstav selbst gar nicht wirklich wusste, warum er mit dem Schnee zu Lettie gekommen war.
    »Ja, ein Experiment. Ich dachte, du könntest dem Geheimnis des Schnees auf die Spur kommen. Auch nach zehn Jahren weiß ich immer noch nicht, was Schnee macht, außer zu schmelzen. Und ich dachte, die Wahrheit könnte mich vielleicht sogar noch reicher machen.«
    »Verstehe«, sagte Lettie, verstand im Grunde aber nicht.
    »Es obliegt dir, das Geheimnis des Schnees zu lüften. Der Schnee wurde

Weitere Kostenlose Bücher