Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Gayton
Vom Netzwerk:
Jeden Dienstag, Donnerstag und Sonntag schaute sie aus dem Fenster zu einem Flecken niedergetretenen Grases hinaus. Sie lächelte scheinbar grundlos. Aber erst als sie anfing, Fehler zu machen, als Blüstavs Ruhm als der größte Alchemist seiner Zeit Kratzer bekam, wurde er wach.
    »TERESA!«
    »Ja, Meister?«
    »Du hast dem Prinzen von Baverien Skorpionenbeine und einen Pferdeschweif verpasst!«
    »Oh«, sagte Teresa. »Aber das wollte er doch, oder nicht?«
    »Nein, er wollte es umgekehrt haben! Pferdebeine und einen Skorpionenstachel!«, schrie Blüstav. »Er muss einen entscheidenden Krieg führen und jetzt lachen ihn schon seine eigenen Soldaten aus! Du hast mir gerade einen sehr wichtigen und unglaublich reichen Kunden vergrault!«
    »Oh«, sagte Teresa. »Tja, nun.«
    Und sie seufzte laut und starrte aus dem Fenster.
    »Meine Güte!«, rief Blüstav da aus. »Du bist verliebt!« Es war so offensichtlich, dass er sich fragte, wie ihm das in aller Welt bisher hatte entgehen können.
    »Ganz recht«, sagte Teresa und zeigte ihm den Ring. »Und verheiratet.«
    »Verheiratet?«, brüllte Blüstav. »Seit wann? Und mit wem?«
    »Seit heute Morgen, zwei Uhr. Mit meinem Ehemann«, antwortete Teresa. »Ich kann nicht mehr Ihr Lehrling sein, Meister. Ich bin jetzt Mrs Peppercorn. Ich kündige!«
    Diese zwei Worte jagten Blüstav eine Heidenangst ein. Er erstarrte, als wäre soeben ein Löwe in sein Haus spaziert und wolle ihn angreifen. Wenn Teresa ging, würde er alles verlieren! Vermögen! Ruhm! Er flehte sie an und drohte ihr. Er warf ihr Beschimpfungen an den Kopf, bis seine Stimme versagte.
    »Du hast noch nicht alle Prüfungen abgelegt!«, krächzte er. »So wirst du nie der größte Alchemist aller Zeiten! Du bleibst, Teresa, ich befehle es dir als dein Meister!«
    Aber sie hörte nicht auf ihn. Lügen hatten keine Wirkung mehr auf sie, denn sie war verliebt, und Liebe war Wahrheit.
    Als sie ging, schaute Blüstav ihr nach, taub vor Entsetzen.
    Und dann nahm ein Gedanke in seinem Kopf Gestalt an: Eines Tages würde er sich an ihr rächen.
    Die Zeit verging, Blüstav versank in Elend, Armut und Zwielicht. Seine Kunden vergaßen ihn, und er vergaß selbst das bisschen Alchemie, das er einst beherrscht hatte. Er konnte nichts erschaffen, noch nicht einmal einen Racheplan.
    Eines Tages – er saß wie immer in seinem Labor, starrte zu seinen Regalen voller Substanzen und Bücher hoch und wartete auf eine Eingebung – geschah es: Es klopfte an der Tür.
    »Bist du das, Teresa?«
    »Ja, ich bin es!«, rief sie durch den Briefschlitz. »Ich muss Alchemie wirken. Helfen Sie mir?«
    »Aber natürlich«, log Blüstav. »Wofür ist es denn?«
    »Für meine Tochter Lettie. Es wird ihr das Leben retten.«
    Blüstav spürte, wie ihm die Eifersucht in die Glieder fuhr. Teresa hatte also zum allerersten Mal etwas erschaffen, was nicht ihm gehörte.
    »Was willst du denn machen?«, fragte er, und noch bevor sie es ihm verriet, wusste er schon, dass er es in seinen Besitz bringen wollte.
    »Es ist etwas ganz Neues«, sagte Teresa. »Schnee.«
    Teresa brauchte ein neues Labor, einen kalten Raum, weit weg von trockenem, warmem Land. Und so fuhren sie und Blüstav über den Kanal und fanden einen Eisberg. Auf dessen Spitze errichteten sie ein Laboratorium, komplett mit Kessel und allem Drum und Dran. Sie pinselten die Wände mit Äther ein, um die Kälte darin zu erhalten.
    »Das war erst der einfache Teil«, erklärte Teresa. »Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit.«
    Blüstav wurde klar, dass Teresa so hochkomplizierte Alchemie wirkte, dass er nicht einmal verstand, was sie da tat, geschweige denn, wie und warum. Tag um Tag lungerte er um den Eisberg herum wie ein Handlanger und holte ihr alles, was sie brauchte. Die ganze Zeit lauerte er auf seine Gelegenheit.
    Ein Jahr verging, als wäre es nur ein Tag gewesen. Teresa erschuf ein riesiges silbernes Spinnrad, auf dem sie eine Wolke spann. In großen, glockenförmigen Glasröhren züchtete sie weiß schimmerndes Eis.
    In einer Nacht kroch Blüstav ins Labor und fand Teresa vor Erschöpfung eingeschlafen. Sie hatte ein Stück Stille, einhundert Jahre lang, in winzige Augenblicke geschnitten und mit Staub sowie statischer Ladung besprenkelt. Dann hatte sie sie in eine Wolke eingenäht, sechs Würfel sechs Mal geworfen und schließlich Salz und Äther dazugemischt. Die fast fertige Nimbostratus-Wolke schwebte nun über ihrem Kopf. Nur eine einzige, letzte Zutat fehlte

Weitere Kostenlose Bücher