Letzte Beichte
nahe, als ich ihnen zusah – sie versuchte, ihm in die Augen zu schauen, er war zu erschüttert, um es zuzulassen –, und ich hätte sie in ihrer Vertrautheit gern alleingelassen und wäre aus dem Raum gegangen. Aber das durfte ich nicht, und so blieb ich, während Amanda mit ihm sprach. Er könne sie nicht verlassen. Sie brauche ihn. Der Prozess habe noch nicht einmal begonnen. Er würde freikommen. Es würde ihnen immer noch gut gehen. Sie würden ihre Flitterwochen nachholen. Er dürfe nirgendwo hingehen, nicht ohne sie, nicht ohne sie.
Nach ungefähr vierzig Minuten wurde Amanda zum Gehen aufgefordert, und ich saß eine Zeitlang bei ihm.
»Sie werden diese Geschichte überleben«, sagte ich. »Sie können gar nicht anders. Sehen Sie, wie sehr sie Sie liebt?«
»Ich habe diese Frau nicht umgebracht. Aber ich habe meine kleine Schwester umgebracht. Ich verdiene das alles.«
»Sie müssen sich selbst verzeihen«, sagte ich. Ich wusste, dass er niemals mit der Gegenwart klarkommen würde, solange er sich nicht seiner Vergangenheit stellte.
»Aber wie?« fragte er.
Ich war ratlos. Wie verzeiht man sich selbst?
Musste ihm zuerst jemand anders verzeihen?
Sein Vater, der sich kurz nach Bellas Tod aus dem Staub gemacht und in Kanada ein neues Leben angefangen hatte?
Seine Mutter, die sich weigerte, ihn zu sehen, sogar mit ihm zu sprechen, und die vermutlich die Polizei anlog, damit man ihn wegsperrte und sie ihn nie wieder sehen musste?
In Ermangelung anderer Ratschläge fragte ich ihn zu meiner eigenen Verblüffung: »Sind Sie religiös?«
»Ich bin katholisch getauft worden, aber nach dem Begräbnis sind wir nicht mehr in die Messe gegangen.«
»Vielleicht sollten Sie den Priester aufsuchen«, schlug ich vor. Ausgerechnet ich, die schlechteste Katholikin der Welt. Einmal hatte ich zwanzig Pence aus der Kollekte geklaut. Während der Predigten hatte ich die Arme fest verschränkt und Geoffrey McTavish in den Arm gekniffen, bis der geweint hatte. Als Teenager hatte ich mir Geschichten ausgedacht ( Vergeben Sie mir, Pater, denn ich habe Shane O’Dowds Penis berührt, hinter dem Schuppen auf dem Tennisplatz ), nur um zu hören, wie sich Pater O’Hair in seinem kleinen Verschlag verschluckte.
»Ich kümmere mich drum«, sagte ich.
Ich ließ Jeremy in seiner schrecklichen ›Sui‹-Zelle zurück und ging hinüber in den Besuchsbereich, wo ich einen Termin mit James Marney hatte.
»Ich werde Ihre Aufsichtsbeamtin sein«, sagte ich und versuchte mit Macht, das flaue Gefühl im Magen zu unterdrücken.
Okay, es war Teil meines Berufes, seine Kinder zu schützen, und das hatte ich bislang gut gemacht. Aber bis ich mit Hilary sprechen konnte, war es auch Teil meines Berufs, ihm zu helfen, ein gesetzestreuer Bürger zu werden. Um das tun zu können, musste ich wissen, was für ein Mensch er war – abgesehen von seinem Verbrechen. Ich musste ihn kennenlernen. Ich verbannte meine Vergangenheit so weit wie möglich aus meinen Gedanken und fuhrt fort:
»Der Bewährungsausschuss hat mich gebeten, eine neue Unterkunft für Sie zu finden. Falls diese angemessen ist, bleibt es bei Ihrem anberaumten Entlassungstermin. Ich werde mit der Polizei, dem Wohnungsamt und den Leuten vom Kinderschutz zusammenarbeiten, um eine Wohnung für Sie zu bekommen. Sobald Sie entlassen worden sind, werde ich Ihnen regelmäßig Besuche abstatten. Ich werde mit Ihnen zusammenarbeiten und Ihnen dabei helfen, nicht wieder straffällig zu werden. Am besten ist es, wenn wir ganz offen miteinander reden können. Sie müssen also mir gegenüber ehrlich sein. Der Kinderschutz wird die Situation Ihrer Kinder beurteilen. Wenn man dort den Eindruck gewinnt, dass Ihre Eltern die Kinder nicht ausreichend schützen können, müssen eventuell weitere Maßnahmen ergriffen werden, um die Sicherheit der Kinder zu gewährleisten. Wir müssen in dieser Sache kooperieren.«
Er hatte sich seit der Fallbesprechung offensichtlich entschlossen, einen neuen Kurs zu fahren. Er starrte mich an, durch mich hindurch, und schwieg standhaft. Als ich ihm in die Augen schaute, versuchte ich, mir nicht vorzustellen, wie er sich Hardcore-Pornos ansah und seine Söhne aufforderte, seinen Penis anzufassen. Ich versuchte, mir nicht vorzustellen, wie Sarahs Stiefvater die Tür zum Bad abschloss, und nicht zu hören, wie Sarah drinnen klopfte und weinte, während ich tat, was man mir gesagt hatte.
»James?« wiederholte ich, aber er antwortete nicht. Er hasste mich aus
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