Letzte Beichte
tiefstem Herzen.
Trotz meiner Bemühungen beruhte das Gefühl auf Gegenseitigkeit.
Ich schlug vor, dass er in seine Zelle zurückgehen und darüber nachdenken solle, ob er überhaupt entlassen werden wolle. Dann ging ich hinüber zu den Sozialarbeitern. Ihr Trakt warin der Mitte des Gefängnisses in einem separaten Gebäude untergebracht, das wie ein abgewirtschaftetes Landhaus aussah. Drinnen wimmelte es von geschwätzigen Verwaltungsleuten und einem erlesenen Sortiment durchgeknallter Sozialarbeiter, die – anscheinend ohne jedes Schamgefühl – ausgedehnte Zeitspannen mit Nichtstun füllten.
Nachdem mir die freundliche Frau am Empfang Kekse und Pralinen angeboten hatte, machte ich die Beamtin ausfindig, die für die Unterbringung entlassener Strafgefangener zuständig war und für den liebreizenden James Marney eine Zweizimmer-Sozialwohnung aufgetrieben hatte. Die Polizei würde die Wohnung überprüfen und mich wissen lassen, ob sie angemessen sei. Dann bat ich darum, Bob zu sehen, den Sozialarbeiter des Gefängnisses, der bei der Fallbesprechung dabei gewesen war. Sein Büro befand sich unter dem Dach. Aus dem Radio drang klassische Musik, und auf einem Tisch in der Ecke lag ein beachtliches Sortiment von Lebensmitteln, fast wie in einem Geschäft. Bob saß an seinem Schreibtisch und genoss die Vorzüge eines ordentlichen Büroschlafes. Er wachte vom Geräusch der sich schließenden Tür auf – »Guten Morgen, Miss Donald!« – und bot mir etwas von dem türkischen Konfekt an, das er während eines zweiwöchigen Urlaubs in Istanbul gekauft hatte. Dann drückte er mir eine Einladung zum nächsten Treffen der betriebseigenen Lesegruppe im Beer Café in die Hand. Bob sagte mir, dass Jeremy Bagshaw nach unserem letzten Termin einige Telefonate geführt habe. Dann habe er sich vom Treppenabsatz im zweiten Stock gestürzt. Weil ein Netz den Sturz auf Höhe des ersten Stocks abgefangen habe, sagte Bob, habe Jeremy keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Aber als man ihn für fünf Minuten in der Krankenabteilung alleingelassen habe, habe er sich seine Hemdsärmel um den Hals geknotet, den Rest seines Hemdes zerrissen und um die Beine des Bettes geschlungen und die nächsten vier Minuten mit dem Versuch verbracht, sich zu strangulieren (zum Erhängen habe es an Höhe gefehlt). Er habe lange und entschlossen in Gegenrichtung des Bettes Zug ausgeübt – ziehen,ziehen, Kopf vom Bett weg, weg –, bis die Luft knapp wurde und dann völlig wegblieb. Ich fragte mich, wie jemand so etwas fertigbringen konnte. Ich verstehe ja, wie man von einem Hochhaus springen oder einen Stuhl wegtreten kann, wenn das die eine, schnelle und unwiderrufliche Bewegung ist, die jede Umkehr ausschließt. Aber wie man die ganze Zeit eine körperliche Anstrengung aufrechterhalten kann, wenn man nur seine Meinung ändern muss, um weiterzuleben, ist mir unbegreiflich.
Es habe nicht funktioniert, sagte Bob, weil die Uniformierten im Flur der Krankenstation ihre Formulare weggelegt hätten und zurückgekehrt seien.
Bob beendete eine Partie Mini-Basketball (er hatte einen Korb über seiner Bürotür angebracht) und führte mich zum Dienstzimmer des Kaplans.
Pater Moscardini war schottisch-italienischer Abstammung und ein gut aussehender Mann um die vierzig. Er trug sorgfältig gebügelte Kleidung, bot einen gepflegten Anblick und hatte stets ein Lächeln auf den Lippen. Sein winziges Dienstzimmer war mit Kochbüchern und Biografien vollgestopft. Das Radio lief. Pater Moscardini hatte nichts von Pater O’Hair an sich, und wie die anderen, unglücklich wirkenden Priester meiner Kindheit alle hießen. Er liebte seinen Beruf und fand es sehr befriedigend, Männern Trost zu spenden, die an einem Tiefpunkt ihres Lebens angekommen waren. Soeben hatte er einen Häftling in der Gefängniskapelle getraut.
»Sie schienen sich sehr zu lieben«, sagte der Priester. »Es war sehr bewegend.«
»Ich möchte mit Ihnen über Jeremy Bagshaw sprechen«, sagte ich und erläuterte Jeremys Situation und seine tragische Vergangenheit. »Er hat Schwierigkeiten, sich jemandem anzuvertrauen.«
»Er muss keine Angst haben«, sagte Pater Moscardini. »Ich werde ihn heute Nachmittag besuchen.«
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21
Seltsame Dinge widerfuhren mir. Alles hatte ganz unschuldig angefangen, mit einer als Maniküre getarnten Befragung. Aber dann hatte die Sache ein Eigenleben gewonnen, und jetzt ertappte ich mich bei allerlei klischeehaftem Weiberkram: Parfüm kaufen zum
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