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Letzte Beichte

Letzte Beichte

Titel: Letzte Beichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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wieder zu Bewusstsein kam, ragte seine Nase durch den Maschendraht, und mehrere Wachen und Krankenpfleger standen unter ihm.

    Sie legten eine Trage auf das Drahtgitter und schoben ihn darauf, und er war sich nicht sicher, ob er sich nicht bewegte, weil er es nicht konnte oder weil man es ihm gesagt hatte. Das Gefängnis wippte auf und ab, während er getragen wurde – nichts als Decken und Leuchten und besorgte Gesichter –, und stand still, als sie die Krankenstation erreicht hatten, ein Steingebäude zwischen seiner Halle und dem Trakt der Sozialarbeiter. Das Nächste, woran er sich erinnern konnte, waren fünf Personen, die um ihn herumstanden und Formulare ausfüllten.
    »Wenn du es wirklich ernst gemeint hättest, Junge, dann wärst du von ganz oben gesprungen.«
    Er war vom Treppenabsatz im zweiten Stock gesprungen, nur einen Stock über dem Netz. Deshalb tat ihm zwar alles weh, aber er hatte sich kaum verletzt.
    Sie löcherten ihn mit Fragen, die im Grunde Anklagen waren:
    Wollen Sie sich umbringen?
    Haben Sie schon einmal versucht, sich umzubringen?
    Haben Sie sich schon einmal eine Verletzung zugefügt?
    Was sind das für Male auf ihrer Brust?
    Meine Güte, dachte Jeremy, während die Formulare ausgefüllt wurden. Im Gefängnis wird man sogar dafür bestraft, dass man sich umbringen will – tu dies nicht, tu das nicht, du lächerliches Bürschchen, du Vollidiot, wir werden dich wegen dieser Sache beobachten, viermal stündlich.
    Schließlich gingen die Uniformierten aus dem Raum, um sich untereinander zu besprechen. Jeremy blieb in einer Zelle zurück, die keine Selbstmörderzelle war und in der es folglich Betttücher, Holzpritschen und die üblichen Sachen gab.

[Menü]
20
    Auf dem Weg zur Arbeit trat ich in das selbstreflexive Stadium des Rauchens ein: Der Raucher gesteht seine Sucht ein, indem er ein eigenes Päckchen erwirbt. Es war ein notwendiger Schritt, denn meine bis dahin netten Raucherkollegen hatten angefangen, Sachen wie »Ich hab nur noch zwei übrig« oder »Das war gerade meine Letzte« zu sagen.
    Am Empfang händigte man mir einen Zettel mit einer telefonischen Nachricht aus: »Amanda anrufen. Es ist dringend.«
    »Jeremy hat gestern versucht, sich umzubringen«, sagte Amanda, als ich sie aus dem Dienstraum im Empfangsbereich anrief. »Können Sie mich irgendwie zu ihm bringen? Ich will ihn sehen.«
    Einige Anrufe später holte ich Amanda in ihrer Wohnung ab und fuhr mit ihr nach Sandhill.
    In Sandhill hatten sechs Selbstmorde in ebensovielen Monaten stattgefunden. Das war sehr schlechte PR . Man hatte drastische Maßnahmen ergriffen, um zu vermeiden, dass das Planziel von drei Selbstmorden im Jahr weiterhin überschritten wurde. Aus diesem Grund hatte der Direktor uns den Zutritt zur ›Sui‹-Zelle gestattet. Amanda war die erste Verwandte, die Zutritt erhielt, seit 1998 während einer Geiselnahme eine Mutter hier gewesen war und ihrem Sohn gesagt hatte, er solle »das Mädchen SOFORT « freilassen. (Es hatte funktioniert.)
    Die Zelle hatte zwar dieselbe Größe und Form wie alle anderen Zellen – zwei mal zweieinhalb Meter, cremefarben gestrichene Backsteinmauern (man hatte der Farbe irgendwelche Holzspäne beigemischt) und eine Gewölbedecke –, aber mit Ausnahme einer großen Uhr war sie vollkommen leer. Die Uhrtickte und tickte und tickte, und wer sich vorher nicht wirklich hatte umbringen wollen, der wollte es jetzt auf jeden Fall.
    Tick Tick Tick Tick. Das war alles, was wir hörten, als wir in der Tür standen. Jeremy lag zusammengekauert in der Ecke. Er war vollkommen still und hielt sein Gesicht mit den Armen bedeckt. Er sah sehr klein aus.
    Amanda machte einen verängstigten Eindruck. Sie erkannte ihn kaum wieder, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ich schob ihren Arm sanft in seine Richtung, und sie bewegte sich in seine Ecke des Rings.
    Langsam kauerte sie bei ihm nieder. Er rührte sich nicht. Sie kniete sich auf den Boden. Sie drückte langsam ihren Kopf an seinen Hals und stupste ihn sanft mit der Nase, und er stöhnte auf. Sie umschlang ihn mit den Armen, umschloss ihn ganz und gar, und dann sackten die beiden zu Boden und umklammerten einander heulend. Sie konnten sich nicht nah genug sein.
    »Ich kann dich nicht anschauen«, sagte Jeremy. »Ich habe dein Leben zerstört. Ich zerstöre alles.«
    »Du hast gar nichts zerstört«, sagte Amanda. »Du hast mein Leben erst lebenswert gemacht. Wir werden diese Sache gemeinsam durchstehen.«
    Ich war den Tränen

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