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Letzte Beichte

Letzte Beichte

Titel: Letzte Beichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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einfach die ganze Nacht lang wachgelegen hätte. Chas kam nicht nach Hause.
    Am nächsten Morgen bekam Robbie meine schlechte Laune zu spüren. Wie ein Besessener suchte er Spielzeug zusammen, daser zum Verkaufen in den Kindergarten mitnehmen wollte. Ich hatte keine Ahnung, mit welchem Krempel er seinen »Thomas-die-kleine-Lokomotive«-Koffer vollstopfte. Er wollte sein Porridge nicht essen und weigerte sich, stillzustehen, während ich ihn anzog und ihm die Zähne putzte. Ich musste ihm die ganze Zeit mit hundert Stundenkilometern hinterherrennen, und meine Stimme nahm allmählich den Tonfall »Böse Hexe aus der Hölle« an. Jede Runde durch die Wohnung ließ mich erschöpfter zurück.
    Zum ersten und letzten Mal in meinem Leben versetzte ich ihm einen leichten Klaps. Auf die Hand. Er blieb stocksteif stehen und sah mich mit enttäuschten Augen an, während er für das Geheul seines Lebens Luft holte.
    Als ich ihn im Kindergarten abgab, fühlte ich mich nicht nur schrecklich, weil ich ihn dazu verdammte, den Tag mit jungen Kindergärtnerinnen zu verbringen, die ihn nicht liebten. Ich fühlte mich auch schrecklich, weil ich gerade meinem wehrlosen dreijährigen Liebling eine geklebt hatte.

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19
    Jeremy war tags zuvor hart mit sich ins Gericht gegangen, nachdem er von der Befragung zurückgekehrt war. Wie hatte er nur tun können, was er gerade getan hatte? Wie hatte er Krissie Angst machen können, indem er ihr sagte, dass sie in Gefahr sei? Er mochte sie. Sie war ehrlich und unvoreingenommen. Er hatte ihr keine Angst machen wollen.
    Dies war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und so bat er darum, einige Telefongespräche führen zu dürfen, ehe man ihn in seine Zelle zurückbrachte.
    Er hatte Amandas Stimme seit seiner Verhaftung nicht mehr gehört. Das war in dem braunen Backsteingebäude einer Polizeiwache in Glasgow gewesen. Die vorletzte Begegnung war besser gewesen: Er hatte vor dem Haus in Crinan gestanden und ihr zum Abschied gewunken. Sie hatten beide Tränen in den Augen gehabt, weil sie sich nicht voneinander trennen wollten, und dennoch waren sie randvoll mit Liebe und Glück gewesen. Und hier stand er nun in einem viktorianischen Gefängnis und hörte ihre Stimme durch einen dreckstarrenden Telefonhörer. »Auf Wiedersehen, Amanda«, sagte er, während er sie in sich aufsog. »Ich will nur Auf Wiedersehen sagen.«
    Der nächste Anruf fiel ihm schwerer.
    »Es tut mir leid«, sagte er seiner Mutter, als sie endlich ans Telefon ging. »Ich rufe bloß an, um zu sagen, dass es mir leid tut. Für damals und für jetzt.«
    Zuerst hatte sich Anne Bagshaw nicht gerührt, als das Telefon wieder und wieder klingte und sich der Anrufbeantworter mit weinerlichen, verzweifelten Betteleien füllte:
    »Bitte sprich mit mir, bitte verzeih mir.«

    »Mutti? Bitte heb ab … Ich bin’s, Jeremy. Ich hab das nicht gewollt.«
    »Ich verdiene es, bestraft zu werden, und ich will auch bestraft werden, aber du sollst wissen, wie sehr ich dich liebe.«
    »Du sollst wissen, dass ich dein Leben nicht zerstören wollte.«
    »Bitte heb ab, lass mich deine Stimme hören, ehe ich Schluss mache. Du musst hören, wie leid es mir tut. Ich habe mit dieser Sozialarbeiterin gesprochen, Krissie heißt sie. Sie ist das beste Mädchen, das man sich vorstellen kann, und sie will mir helfen. Ich weiß, was zu tun ist. Selbst von hier drinnen kann ich die Sache in Ordnung bringen.«
    Als sie die letzte Nachricht ihres Sohnes hörte, hatte Jeremys Mutter ihr Glas Gin abgestellt. Sprachlos und beschämt hatte sie den Hörer abgenommen und ihrem Sohn zugehört, und zum ersten Mal seit vierundzwanzig Jahren hatte sich ihr Blick verändert: Das Eis war an den Rändern geschmolzen und herabgetropft.
    »Es tut mir leid«, hatte Jeremy gesagt. »Ich rufe bloß an, um zu sagen, dass es mir leid tut.«
    Beide schwiegen einen Moment lang.
    »Amanda ist ohne mich besser dran.«
    »Jeremy?« fragte seine Mutter. »Ist mit dir alles in Ordnung?«
    Aber er hatte schon aufgelegt. Sie starrte ausdruckslos vor sich hin und wusste, dass sie ihn nicht länger aus ihrem Leben ausblenden konnte. Es war an der Zeit, ihn zu besuchen, mit ihm zu sprechen, ihm vielleicht sogar zu verzeihen.
    Einige Augenblicke später buchte Anne Bagshaw einen Flug nach Glasgow.
    Einige weitere Augenblicke später ließ sich Jeremy auf dem Rückweg zu seiner Zelle über das Metallgeländer des Treppenabsatzes im zweiten Stock fallen.
    Als er kurze Zeit später

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