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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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verfügte er über einen endlosen Vorrat an weißen T-Shirts und Chinos. Für einen Mann Mitte sechzig schien er in guter körperlicher Verfassung zu sein. Unterdessen sahen Laura und ich von Stunde zu Stunde abgerissener aus. In der Enge des Mietwagens konnte ich sehen, daß ihr dunkles, kastanienrotes Haar zu diesem flammenden Ton gefärbt war. Die Farbe wuchs sich am Scheitel langsam aus und brachte einen breiter werdenden grauen Streifen zum Vorschein. Die Strähnen um ihr Gesicht herum bildeten einen weißen Saum wie die schmale Umrandung in einem Bilderrahmen. Ich überlegte, ob vorzeitiges Ergrauen wohl in der Familie lag.
    Die Sonne ging hinter einem Gebirge frühmorgendlicher Wolken am Horizont auf, und der Himmel wechselte von Apricot über Buttergelb hin zu einem weichen, klaren Blau. Die Landschaft um uns herum war flach. Ein Blick auf die Karte sagte mir, daß dieser Teil des Bundesstaates zur Schwemmebene des Mississippi gehörte und alle Flüsse östlich und südlich auf den Mississippi zuflossen. Seen und heiße Quellen tüpfelten die Landkarte wie Regentropfen, während die Nordwestecke des Bundesstaates von den Boston und den Ouachita Mountains geprägt war. Laura hielt den Fuß fest aufs Gaspedal gedrückt und fuhr konstant sechzig Meilen die Stunde.
    Um sieben Uhr waren wir in Memphis. Ich hielt Ausschau nach einer Telefonzelle, da ich Henry anrufen wollte, als mir einfiel, daß es in Kalifornien zwei Stunden früher war. Er pflegte zwar früh aufzustehen, aber fünf Uhr morgens war wirklich übertrieben. Laura merkte, was ich dachte, und fing meinen Blick im Rückspiegel auf. »Ich weiß, daß Sie nach Hause wollen, aber können Sie nicht bis Louisville warten?«
    »Was spricht denn gegen Nashville? Wir kommen am späteren Morgen dort an, was ideal für mich wäre.«
    »Sie würden uns Zeit kosten. Sehen Sie auf die Karte, wenn Sie es nicht glauben. Wir kommen auf der 40 herein und fahren auf der 65 weiter über die Staatsgrenze. Der Flughafen von Nashville liegt auf der anderen Seite der Stadt. Damit verlieren wir eine Stunde.« Sie reichte mir die Karte, aufgeschlagen bei der Gegend, von der sie sprach, wieder nach hinten.
    Ich überschlug die ungefähren Entfernungen. »Sie verlieren keine Stunde. Es dreht sich höchstens um zwanzig Minuten. Ich dachte, Sie wollten gar nicht nach Louisville, also weshalb plötzlich so eilig?«
    »Ich habe nie gesagt, daß ich nicht dorthin will. Ich lebe dort. Ich habe nur gesagt, daß Gilbert dorthin fährt. Ich möchte meine Sachen aus der Wohnung holen, bevor er auftaucht.«
    »Vergiß deine Sachen. Kauf dir was Neues. Halt dich von dort fern. Wenn du in die Wohnung gehst, läufst du ihm direkt in die Arme.«
    »Nicht, wenn ich vor ihm dort bin«, wandte sie ein. »Deshalb will ich ja keine Zeit verlieren, Sie zum Flughafen zu bringen. Sie können von Louisville abfliegen. Das ist nicht so viel weiter.«
    Ich merkte, wie meine Körpertemperatur mit meiner anschwellenden Wut stieg. »Es sind noch einmal drei Stunden.«
    »Ich halte nicht an«, sagte sie.
    »Wer hat Ihnen denn das Kommando übertragen?«
    »Und wer Ihnen ?«
    »Ladies, he! Hört auf. Ihr geht mir auf die Nerven. Wir müssen schon mit Gilbert fertig werden. Das reicht.« Ray wandte sich um, um mich anzusehen, und gab sich bemüht. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich weiß, daß Sie unbedingt nach Hause wollen, aber ein paar Stunden Verzögerung spielen doch keine Rolle. Kommen Sie mit uns nach Louisville. Wir nehmen Sie mit zu meiner Ma. Dort sind wir in Sicherheit. Sie können heiß duschen und sich waschen, während Sie Ihre Kleider durch die Waschmaschine laufen lassen.« Er sah Laura an. »Du kommst auch mit. Sie würde sich freuen, dich zu sehen, da bin ich mir sicher. Vor wie vielen Jahren hast du denn deine Grandma zum letzten Mal besucht?«
    »Vor fünf oder sechs«, sagte sie.
    »Siehst du? Sie hat dich bestimmt schrecklich vermißt. Da bin ich mir sicher«, meinte er. »Sie wird uns fantastische Hausmannskost vorsetzen, und dann bringen wir Sie zum Flughafen. Wir zahlen Ihnen sogar das Flugticket.«
    Laura wandte den Blick von der Straße ab. » Wir? Seit wann?«
    »Komm schon. Sie hängt nur deswegen mit drin. Chester wird sie vermutlich nie bezahlen, also kann sie die Knete abschreiben. Was kostet uns das schon? Es ist das mindeste, was wir tun können.«
    »Du bist sehr großzügig mit Geld, das du nicht hast«, bemerkte sie.
    Rays Lächeln versiegte. Sogar vom Rücksitz aus

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