Letzte Ehre
kommt Biscoe.«
»Wir sind an Little Rock vorbeigefahren ? Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich dort aussteigen will«, flüsterte ich heiser.
»Was hätte ich denn tun sollen? Sie hatten die Landkarte und schliefen tief und fest. Ich hatte keine Ahnung, wo der Flughafen sein sollte, und ich wollte nicht in der Gegend herumfahren und ihn auf gut Glück suchen.«
»Warum haben Sie mich nicht aufgeweckt?«
»Ich habe es einmal versucht. Ich habe Ihren Namen gesagt und keine Antwort bekommen.«
»Gab es denn keine Wegweiser?«
»Soweit ich gesehen habe, nicht. Außerdem startet dort um diese Zeit sowieso kein Flugzeug. Wir sind hier in der finstersten Provinz. Sehen Sie’s ein«, flüsterte sie zurück. Sie schlug wieder einen normalen Tonfall an, dämpfte jedoch Ray zuliebe ihre Stimme. »Es ist höchste Zeit, daß wir uns ein Motel suchen, damit wir ein paar Stunden Schlaf bekommen. Ich bin halbtot. Ich wäre in der letzten Stunde mehr als einmal fast von der Straße abgekommen.«
Ich musterte die Gegend und konnte in der Dunkelheit nur wenig mehr ausmachen als Farmhäuser und vereinzelte, dichte Waldstücke. »Suchen Sie sich eines aus«, sagte ich.
»Es kommt bald wieder ein Ort«, meinte sie ungerührt.
Und tatsächlich gelangten wir in ein Städtchen mit einem einstöckigen Motel in einer Seitenstraße, dessen »Zimmer-frei«-Schild blinkte. Sie bog in den kleinen gekiesten Parkplatz ein und stieg aus. Dann drehte sie sich mit dem Rücken zum Wagen und griff unter ihren Trägerrock, wobei sie vermutlich ein Bündel Bares aus dem Bauchgurt hervorholte, den sie trug. Ich stieß Ray an, der aus den Tiefen aufstieg wie ein Taucher bei der Druckentlastung.
Ich sagte: »Laura möchte hier haltmachen. Wir sind beide völlig erledigt.«
»Ist mir recht«, sagte er. Er richtete sich in Sitzposition auf und blinzelte verwirrt. »Sind wir noch in Texas?«
»In Arkansas. Wir haben Little Rock hinter uns und Memphis vor uns.«
»Ich dachte, Sie wollten uns verlassen?«
»Das dachte ich auch.«
Er gähnte und rieb sich mit den Händen das Gesicht. Dann warf er einen Blick auf seine Uhr und versuchte, in dem spärlichen Licht die Zeit abzulesen. »Wie spät ist es?«
»Nach eins.«
Ich konnte Laura am Eingang des Motels sehen. Die Lichter drinnen waren trübe und die Tür muß abgeschlossen gewesen sein, da ich sah, wie sie mehrmals klopfte und schließlich die Hände vor dem Glas wölbte, um hineinzuspähen. Schließlich schleppte sich eine unglücklich dreinblickende Seele aus dem Büro des Geschäftsführers. Längerer lebhafter Wortwechsel, Gestikulieren und Äugen in unsere Richtung. Laura wurde eingelassen, und ich sah sie dort an der Rezeption stehen, wie sie das Anmeldeformular ausfüllte. Ich vermutete, daß ihre scheinbare Schwangerschaft ihr ein Flair von Verletzlichkeit verlieh, insbesondere zu dieser Stunde. Ein Bündel Bargeld schadete ihrem Anliegen sicher auch nicht. Augenblicke später verließ sie das Büro und kehrte zum Wagen zurück, wobei sie zwei Zimmerschlüssel in der Hand baumeln ließ, die sie mir reichte, als sie sich wieder hinters Steuer setzte. »Ray bekommt ein eigenes Zimmer. Ich kann bei diesem Krach nicht schlafen.«
Sie ließ den Wagen an und fuhr hinters Haus. Wir hatten die beiden letzten Zimmer am hinteren Ende. Es stand nur ein einziges anderes Auto da und das hatte Nummernschilder aus Iowa, so daß ich uns momentan vor Gilbert in Sicherheit wähnte. Ray zerrte einen seiner Koffer aus dem Kofferraum, während Laura sich den Matchsack schnappte und ich den Armvoll feuchter Kleider, die ich hineingeworfen hatte. Vielleicht würde es den Trockenprozeß abschließen und sie wieder tragbar machen, wenn ich sie über Nacht aufhängte.
Ray blieb an seiner Tür stehen. »Wann morgen früh?«
»Ich finde, wir sollten um sechs wieder unterwegs sein. Wenn wir schon fahren, dann zügig. Sinnlos, herumzutrödeln«, meinte Laura. »Zieh die Vorhänge beiseite, wenn du auf bist. Wir machen es genauso.« Sie warf mir einen Blick zu. »Ist Ihnen das recht?«
»Klar, keine Einwände.«
Ray verschwand in seinem Zimmer, und ich folgte ihr in unseres: zwei Doppelbetten und ein tristes Interieur, Modergeruch inbegriffen. Wenn die Farbe Beige einen Geruch hätte, würde sie so riechen. Es sah aus wie ein Raum, in dem man nicht aus dem Bett steigen wollte, ohne vorher irgendwie Lärm zu machen. Sonst träte man womöglich auf eine dieser huschenden, hartschaligen Insekten. Das kleine
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