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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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konnte ich seinen Stimmungsumschwung sehen. »Du willst sagen, daß ich keinen Anspruch auf das hier drin habe?« sagte er und wies auf ihren Bauch.
    »Natürlich hast du einen Anspruch. Ich habe es nicht so gemeint, aber es kostet uns ohnehin schon eine ganze Menge«, sagte sie.
    »Und?«
    »Und du könntest mich wenigstens fragen. Ich habe auch etwas zu sagen. Und außerdem habe ich erst kürzlich von dir gehört, daß du mir die ganzen acht Riesen schenken wolltest.«
    »Du hast abgelehnt.«
    »Habe ich nicht!«
    »Sie haben in meiner Gegenwart abgelehnt«, sagte ich und streckte ihr damit praktisch die Zunge heraus.
    »Würdest du ihr bitte sagen, daß sie sich heraushalten soll! Das hat nichts mit Ihnen zu tun, Kinsey, also kümmern Sie sich bitte um Ihren eigenen Kram.«
    Ich merkte, wie mir ein Lachen in die Kehle stieg. »Seien Sie keine Spielverderberin. Mir macht das Spaß. Ich bin die Adoptivtochter. Das hier ist >Familiendynamik<. Heißt es nicht so? Ich habe davon gelesen, es aber nie selbst erlebt. Rivalität in der Familie ist zum Brüllen.«
    »Was wissen Sie schon von Familien?«
    »Gar nichts. Das ist es ja gerade. Langsam gefällt mir all dieses Gezänk, seit ich kapiert habe, wie es funktioniert.«
    Ray fragte: »Stimmt das? Sie haben keine Familie?«
    »Ich habe Verwandte, aber keine nahen. Ein paar Cousinen oben in Lompoc, aber nicht diese Alltagskiste, wo sich die Leute gegenseitig angiften, Stunk machen und fies sind.«
    »Ich habe jahrelang ohne Familie gelebt. Das ist etwas, was ich sehr bedauere«, sagte er. »Also, kommen Sie nun mit uns nach Louisville? Wir bringen Sie auf den Nachhauseweg. Ich schwöre es.«
    Ich falle grundsätzlich darauf herein, wenn mich jemand nett fragt, vor allem ein ehrenamtlicher Vater, der so gut roch wie er. Ich sagte: »Klar. Warum nicht? Ihre Mutter scheint eine Reise wert zu sein.«
    »Das ist sie allerdings«, bekräftigte er.
    »Wie lange haben Sie sie nicht gesehen?«
    »Siebzehn Jahre. Ich war auf Bewährung draußen, bin aber wegen einer Verletzung der Auflagen wieder eingebuchtet worden, bevor ich so weit kam. Sie hat mich nie im Gefängnis besucht. Ich schätze, sie wollte sich nicht damit auseinandersetzen.«
    Nachdem wir uns soweit geeinigt hatten, fuhren wir friedlich weiter. Wir kamen um 10.35 Uhr in Nashville an, allesamt hungrig. Laura entdeckte einen McDonald’s, dessen goldene Bogen vom Briley Parkway herab zu sehen waren. Sie nahm die nächste Ausfahrt. Sowie wir auf den Parkplatz einbogen, sah ich, wie sie mit einer Hand unter ihren Rock griff und eine diskrete Abhebung von der Bauchnabel-Staatsbank vornahm. Da meines das einzige nicht von jüngst verabreichten Schlägen gezeichnete Gesicht war, wurde ich dazu bestimmt, in das Lokal zu gehen und unser zweites Frühstück zu besorgen. Um unsere Ernährung variabel zu gestalten, kaufte ich ein Sortiment aus Hamburgern, Big Macs und Viertelpfündern mit Käse. Dazu erstand ich zwei verschieden große Portionen Pommes frites, Zwiebelringe und Cokes, die so groß waren, daß wir garantiert alle zwanzig Minuten pinkeln müßten. Außerdem nahm ich dreimal Kekse in Tierform in Schachteln mit schicken Henkeln aus Schnur mit, gedacht für diejenigen von uns, die brav ihren Teller leeraßen. Um zu demonstrieren, wie kultiviert wir waren, speisten wir, solange das Auto noch hinter dem Lokal auf dem Parkplatz stand, und bedienten uns dann der Sanitäranlagen, bevor wir uns wieder auf den Weg machten. Diesmal fuhr Ray, Laura wechselte auf den Beifahrersitz, und ich streckte mich hinten aus und machte ein Nickerchen.
    Als ich aufwachte, hörte ich Ray und Laura leise miteinander reden. Irgendwie versetzte mich das Gemurmel zurück zu den Autofahrten meiner Kindheit, bei denen meine Eltern vorne saßen und unzusammenhängende Bemerkungen austauschten. Dabei habe ich vermutlich bereits lauschen gelernt. Ich hielt die Augen geschlossen und hörte ihrem Gespräch zu.
    Ray sagte: »Ich weiß, daß ich dir kein Vater gewesen bin, aber ich würde es gern versuchen.«
    »Ich habe einen Vater. Paul ist mir bereits ein Vater gewesen.«
    »Vergiß ihn. Der Typ ist ein Scheißhaufen. Ich habe es dich selbst sagen hören.«
    »Wann?«
    »Letzte Nacht im Auto, als du mit Kinsey geredet hast. Du hast erzählt, er hätte dich in deiner Jugend in Grund und Boden kritisiert.«
    »Genau. Ich hatte einen Vater. Wozu sollte ich also zwei brauchen?«
    »Nenn’ es eine Beziehung. Ich möchte ein Teil deines Lebens

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