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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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dir auch nichts. Wenn du mich umbringst, hast du überhaupt keine Chance«, sagte Ray ungerührt. »Vielleicht kann ich es finden, wenn noch etwas übrig ist. Ich weiß, wie Johnnys Hirn funktioniert hat. Du hast keine Ahnung, wie er seine Angelegenheiten zu regeln pflegte.«
    »Ich habe die Sockelleiste gefunden, oder nicht?«
    »Nur weil ich es dir verraten habe. Du hättest sie nie gefunden ohne mich«, sagte Ray.
    Gilbert nahm mit düsterem Gesicht die Pistole beiseite. Seine Bewegungen wirkten aufgeregt. »Hör zu, es läuft folgendermaßen. Ich nehme Laura mit. Du läßt dir besser bis morgen etwas einfallen, sonst ist sie tot, kapiert?«
    »He, komm schon. Sei vernünftig. Ich brauche Zeit«, sagte Ray.
    »Morgen.«
    »Ich tue, was ich kann, aber ich kann nichts versprechen.«
    »Tja, ich schon. Du besorgst diese Kohle, oder sie ist ein totes Stück Fleisch.«
    »Wie soll ich dich denn finden?«
    »Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Ich finde dich«, sagte Gilbert.
    Helen zog eine Grimasse und rieb sich eine knotige Hand mit der anderen.
    »Was haben Sie denn?«
    »Meine Arthritis plagt mich wieder. Ich habe Schmerzen.«
    »Soll ich das in Ordnung bringen«, sagte er und wedelte mit seiner Pistole. Er wandte sich wieder zu Ray. Helen hob die Hand, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Was?«
    »Jetzt bin ich schon zu lange gesessen. Das Dumme am Altwerden ist, daß man nichts länger als fünf Minuten tun kann. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich ein bißchen hinstelle.«
    »Verdammt noch mal, altes Weib. Die ganze Zeit stehen Sie auf und setzen sich wieder hin.«
    Helen lachte, da sie seinen mörderischen Zorn offenbar mit schlechter Laune verwechselte. Ich spürte, wie in mir eine Blase der Verzweiflung an die Oberfläche stieg. Vielleicht war sie zu allem Überfluß auch noch senil. Er würde sie ohne zu zögern umbringen — uns alle — , aber das schien sie nicht zu »kapieren«. Seine Drohungen glitten über sie hinweg. Vielleicht war es ganz gut so. Wer konnte in ihrem Alter schon Angst von solchen Ausmaßen ertragen? Allein die Furcht könnte sie in einen Herzinfarkt treiben. Mich übrigens auch.
    Gilbert wies mit der Pistole in ihre Richtung. »Sie können aufstehen, aber benehmen Sie sich«, sagte er. »Ich will nicht, daß Sie hier rauslaufen und versuchen, Hilfe herbeizuholen.« Sein Tonfall verlagerte sich, als er mit ihr sprach, und wurde nahezu kokett. »Gönnerhaft«, wäre ein anderer Ausdruck, aber Helen schien das nicht aufzufallen.
    Sie winkte gelangweilt ab. »Die Zeiten, als ich das noch konnte, sind vorbei. Außerdem brauchen Sie sich nicht meinetwegen Sorgen zu machen, sondern wegen meiner Freundin Freida Green.«
    Wenigstens hatte sie seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich konnte sehen, wie er ein Lächeln unterdrückte und so tat, als nähme er sie ernst. »Oh-oh. Wer ist denn diese Freida Green, eine Art Krawallmacherin?«
    »Ja, das ist sie. Ich übrigens auch. Mein verstorbener Mann hat mich immer Hell on Wheels genannt. Kapieren Sie? >Hell on< — das klingt wie Helen.«
    »Hab’s kapiert, Granny. Wer ist denn Freida? Kann es passieren, daß sie unangemeldet hier hereinplatzt?«
    »Freida ist meine Nachbarin. Sie wohnt zwei Häuser weiter mit ihrer Freundin Minnie Paxton, aber sie sind momentan verreist. Hat zwar nie jemand direkt gesagt, aber ich glaube, die beiden sind ineinander verliebt. Auf jeden Fall hatten wir hier vor etwa vier Monaten eine Einbruchsepidemie. So haben sie das nämlich genannt, eine >Epidemie<, als wäre es eine Krankheit. Zwei nette Polizisten sind in unser Viertel gekommen und haben uns etwas über Selbstverteidigung erzählt. Minnie hat gelernt, richtig fest seitlich auszuschlagen, aber Freida ist flach auf den Rücken gefallen, als sie es versucht hat.«
    Ray sah mich durchdringend an, aber ich konnte nicht herauslesen, was er ausdrücken wollte. Vermutlich simple Verzweiflung angesichts der Banalität ihres Wortwechsels.
    Gilbert lachte: »Herrgott, das hätte ich gern gesehen. Wie alt ist denn diese alte Schachtel?«
    »Mal überlegen. Ich glaube, Freida ist einunddreißig. Minnie ist zwei Jahre jünger und viel besser in Form. Freida hat sich das Steißbein gebrochen und ist stocksauer geworden. Huu! Hat gesagt, es müsse ja wohl noch bessere Methoden der Verbrechensbekämpfung geben, als einen Kerl in die Kniescheibe zu treten.«
    Gilbert schüttelte skeptisch den Kopf. »Ich weiß nicht. Jemandem die Kniescheibe zu brechen,

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