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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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das kann echt weh tun«, sagte er.
    »Ja, stimmt«, meinte Helen, »aber dazu muß man nahe genug herankommen, was nicht immer einfach ist. Und mein Gleichgewichtssinn ist auch nicht mehr der beste.«
    »Freidas Gleichgewichtssinn auch nicht, nach dem, was Sie erzählen. Was hat sie denn dann vorgeschlagen?«
    »Sie hat vorgeschlagen, daß sich jeder von uns ein Gestell baut und unter die Tischplatte schraubt, in dem man eine geladene Flinte bereithalten kann, so wie die hier.« Helen drehte sich leicht zur Seite, als sie aufstand. Sie trat einen großen Schritt vom Tisch weg und zog eine doppelläufige 12-Kaliber-Schrot-flinte mit 66-Zentimeter-Läufen hervor. Sie klemmte sich den Kolben zwischen Oberarm und Rumpf und stützte ihn auf der Hüfte ab. Wir vier starrten sie allesamt an, gefesselt vom Anblick einer so sperrigen Flinte in den Händen einer Person, die noch eine Nanosekunde vorher so harmlos und begriffsstutzig gewirkt hatte. Die Wirkung wurde leider von den Gegebenheiten des Alters unterminiert. Wegen ihrer schlechten Augen zielte sie auf den Fensterrahmen anstatt auf Gilbert, was ihm nicht entging. Er verzog das Gesicht und sagte: »Hoppla! Legen Sie lieber die Knarre weg!«
    »Legen Sie Ihre Knarre weg, bevor ich Sie ins Jenseits befördere«, drohte sie. Sie stellte sich mit dem Rücken an die Wand, ganz bei der Sache, abgesehen von dem Problem mit ihrer Zielsicherheit, das beträchtlich war. Das schwere Fleisch an ihren Oberarmen zitterte, und es war offensichtlich, daß sie den Lauf kaum halten konnte, selbst wenn er in die falsche Richtung zielte. Ich merkte, wie mein Herz zu hämmern begann. Ich rechnete damit, daß Gilbert zu schießen begänne, doch er nahm sie anscheinend nicht ernst.
    »Die Flinte ist ganz schön schwer. Sind Sie sicher, daß Sie sie halten können?«
    »Kurzfristig«, antwortete sie.
    »Was wiegt sie denn, sechs oder sieben Pfund? Klingt nicht nach viel, wenn man sie nicht lang haaalten muß.« Er zog das Wort »halten« in die Länge, damit es ermüdend klang. Ich wurde allein vom Hören schon müde, aber Helen schien ungerührt.
    »Ich schieße lange bevor mir die Arme lahm werden auf Sie. Für mich ist es ein Gebot der Fairneß, Sie zu warnen. Der eine Lauf ist mit Vogeldunst Nummer neun geladen. Im anderen ist Doppelnull-Rehposten, der pustet Ihnen glatt das Gesicht weg.«
    Gilbert lachte erneut. Er schien von der Art der alten Frau ehrlich amüsiert zu sein. »Mein Gott, Hell on. Das ist aber nicht nett. Und was ist mit Ihrer Arthritis? Ich dachte, Sie hätten so schwere Arthritis.«
    »Habe ich auch. Das stimmt schon. Außer an dem einen Finger. Passen Sie auf.« Helen verlagerte die Flinte zur linken Seite, zielte auf ihn und drückte den Abzug. Ka -blast ! Ich sah ein paar grellgelbe Funken. Die Detonation war ohrenbetäubend und erfüllte den ganzen Raum. Eine Druckwelle aus Luft und Gas strömte aus der Mündung, gefolgt von einer schwarzen Rauchwolke. Die Ladung Vogelschrot jagte an seinem linken Ohr vorüber, zog an ihm vorbei nach oben und zerschmetterte das Küchenfenster. Vereinzelte Schrotkügelchen rissen ihm das Ohrläppchen und die Oberkante seiner Schulter auf, während die auseinanderlaufenden Strahlen der Schrotladung ihm den Hals aufschürften und mit Blut bemalten. Laura schrie und warf sich auf die Erde. Ich war noch vor ihr unten. Ray kippte vor Verblüffung mitsamt seinem Stuhl seitlich um. Gilbert schrie vor Schmerz und Unglauben auf und riß die Hände nach oben. Seine Pistole flog nach vorn und schlitterte über den Boden.
    Die Erschütterung der Mündung hatte Helen an die Wand zurückgeschleudert, und der Gewehrkolben schlug gegen ihre rechte Hüfte, als die Läufe durch den Rückstoß nach oben schnellten. Sie faßte sich und ließ das Gewehr wieder sinken, schußbereit. Gilberts rechte Wange war bereits rot gesprenkelt wie von einem plötzlichen Akneausschlag, und Blut sickerte in das Haar über seinem rechten Ohr. Die Luft roch beißend, und ich hatte mit einem Mal einen süßlichen Geschmack im Rachen.
    »Diesmal puste ich Ihnen den Kopf weg«, sagte sie.
    Gilbert stieß ein wildes, kehliges Geräusch aus, griff nach unten und packte Laura bei den Haaren. Er zerrte sie auf die Füße und preßte sie gegen sich, während er sich herunterbeugte und sich mit der anderen Hand den Geldgurt schnappte.
    Noch immer auf der Erde, reckte Ray den Hals, um zu sehen, was vor sich ging. »Ma, nicht schießen!«
    »Wenn Sie abdrücken, ist sie tot. Ich

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