Letzte Ehre
und fand einen Pelissaro. Ich ließ mir den Weg dorthin beschreiben und versuchte es dann noch beim letzten Friedhof, da ja immerhin möglich war, daß noch ein zweiter Pelissaro hier in der Gegend begraben lag. Doch es gab nur den einen.
Ray und ich wechselten einen Blick. Er sagte: »Ich hoffe, Sie liegen damit richtig.«
»Sehen Sie’s doch mal so: Was haben wir sonst schon?«
»Stimmt.«
Ich entschuldigte mich und machte mich auf den Weg unter die Dusche. Das Telefon klingelte, als ich mir gerade die Haare ausspülte. Ich konnte es durch die Wand hören, ein schriller Kontrapunkt zum Rauschen des Wassers, während mir die letzten Shampooblasen über den Körper rannen. Ray ging im Schlafzimmer an den Apparat, und ich hörte kurz seine Stimme poltern. Ich beließ es bei einer Katzenwäsche, drehte das Wasser ab, trocknete mich ab und warf mir die Kleider über. Wenigstens war ich die Sorge los, mir zu überlegen, was ich anzie-hen sollte. Als ich in der Küche ankam, war Ray auf den Beinen und stellte ein Werkzeugsortiment zusammen, für das er einige Bestandteile aus einem kleinen Schuppen im Garten hereinholte. Er hatte zwei Schaufeln aufgetrieben, ein Stück Seil, eine Blechschere, Zangen, einen Bolzenschneider, einen Hammer, eine Spule, einen uralt aussehenden Handbohrer und zwei Schraubenschlüssel. »Gilbert ist mit Laura auf dem Weg hierher. Ich weiß nicht, was auf uns zukommt. Womöglich müssen wir einen Sarg ausgraben, deshalb dachte ich, wir sollten uns lieber vorbereiten.« Der Colt lag auf dem blechernen Auszug des Eastlake-Schränkchens. Ray nahm ihn im Vorübergehen und steckte ihn sich wieder in den Hosenbund.
»Wofür brauchen Sie den?«
»Er soll mich nicht noch einmal unvorbereitet erwischen.«
Ich wollte eigentlich protestieren, aber ich konnte ihn verstehen. Meine Anspannung wuchs. Mein Brustkorb fühlte sich wie zugeschnürt an, und in meinem Magen schien sich irgend etwas ständig zusammenzuziehen und wieder zu lösen, das mir kleine Angstwellen den Körper hinauf und hinab sandte. Ich schwankte unsicher zwischen dem Drang zu fliehen und einer maßlosen Neugier darauf, was als nächstes gesehen würde. Was glaubte ich eigentlich? Daß ich das Endergebnis beeinflussen könnte? Vielleicht. Vor allem aber mußte ich, nachdem ich schon so weit gekommen war, die Sache bis zum Schluß mitmachen.
20
Gilbert und Laura kamen innerhalb einer Stunde an, den Leinen-Matchsack im Schlepptau, in dem vermutlich die achttausend Dollar in bar steckten. Gilbert trug wieder seinen Stetson, womöglich in der Hoffnung, sein Image als harter Typ zu unterstreichen, nachdem er von einer fünfundachtzigjährigen Blinden in Bedrängnis gebracht worden war. Laura war offensichtlich erschöpft. Ihr Teint wirkte ausgebleicht, und abklingende Blutergüsse warfen blasse grüne und gelbe Schatten um ihren Kiefer. Gegenüber der Blässe ihrer Haut wirkte ihr kastanienrotes Haar hart und künstlich, ein zu starker Kontrast angesichts des ausgebluteten Aussehens ihrer Wangen. Jetzt konnte ich sehen, daß ihre Augen vom gleichen Haselnußbraun waren wie die Rays und das Grübchen in ihrem Kinn ein Gegenstück zu seinem bildete. Ihre Kleider sahen aus, als hätte sie in ihnen geschlafen. Sie trug wieder die Sachen, in denen ich sie zuerst gesehen hatte: ein übergroßes blaßblaues Jeanskleid mit kurzen Ärmeln, darunter ein langärmliges weißes T-Shirt, rotweiß gestreifte Strümpfe und rote Tennisschuhe mit hohem Schaft. Der Bauchgurt war verschwunden, und die Wirkung war seltsam, als hätte sie plötzlich im Zuge einer zehrenden Krankheit an Gewicht verloren.
Gilbert wirkte angespannt. Sein Gesicht war immer noch von Wunden überzogen, wo Helens Vogelschrot ihn getroffen hatte, und er trug ein Pflaster über dem Ohrläppchen. Abgesehen von Anzeichen Erster Hilfe, machten seine Jeans einen gebügelten und seine Stiefel einen geputzten Eindruck. Er trug ein sauberes weißes Hemd im Western-Schnitt, dazu eine Lederweste und eine Bola-Krawatte. Die Kluft wirkte aufgesetzt, da ich annahm, daß er erst einmal in seinem Leben westlich des Mississippi gewesen war, und das auch erst vor nicht viel mehr als einer Woche. Als sie ihre Großmutter sah, macht Laura Anstalten, den Raum zu durchqueren, aber Gilbert schnippte mit den Fingern, und schon stand sie wie ein Hund bei Fuß. Er legte ihr seine linke Hand auf den Nacken und murmelte ihr etwas ins Ohr. Laura sah unglücklich aus, leistete jedoch keinen Widerstand.
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