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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Bucky hierhergeschickt, damit er bei seinem Großvater wohnt, doch das hat sich als Fehler entpuppt. Ich habe mir eingebildet, die beiden könnten aufeinander aufpassen. Und ehe ich’s mich versehe, hängt Bucky an diesem Mädel. Ich habe nichts gegen Babe... sie ist doof, aber das ist er auch... ich finde nur, die beiden hatten nicht das Recht, zu heiraten.«
    »Johnny hat Sie nicht darauf vorbereitet?«
    »Zum Teufel, er hat sie vermutlich noch ermuntert. Alles nur, um Ärger zu machen. Er war ein hinterlistiger alter Trottel.«
    Dazu gab ich keinen Kommentar ab, sondern ließ ihn die Geschichte auf seine Art erzählen. Es entstand eine kurze Gesprächspause, während er sich dem Kochen widmete. Die Mortadella war blaßrosa und hatte den Durchmesser eines Abendbrottellers — ein makelloses Rund aus zusammengepreßten Schweinenebenprodukten. Chester warf die Wurst hinein, ohne sich die Mühe zu machen, die Plastikhaut zu entfernen. Während die Mortadella briet, klatschte er Mayonnaise auf eine Scheibe Brot und Senf auf die andere. Dann schüttete er in perfekten roten Tupfen scharfe Soße über den gelben Senf.
    Als Kind wurde ich mit genau der gleichen Sorte Weißbrot großgezogen, die folgende erstaunliche Eigenschaften hatte: Wenn man es zerdrückte, kehrte es augenblicklich in seinen ungebackenen Zustand zurück. Ein Laib von diesem Brot, der versehentlich am Boden einer Einkaufstasche zusammengequetscht wurde, trug bleibende Schäden davon und ergab äußerst seltsam geformte Sandwiches. Positiv konnte man vermerken, daß es sich in kleine Kügelchen rollen ließ, die man über den Tisch hinweg auf seine Tante schießen konnte, wenn sie gerade nicht hinsah. Wenn einer dieser Brotpopel in ihren Haaren landete, schlug sie erbost danach und hielt ihn für eine Fliege. Ich kann mich noch an das erste Mal erinnern, als ich eine Scheibe des selbstgebackenen Weißbrots meines Nachbarn aß, das mir so rauh und trocken erschien wie ein Zelluloseschwamm. Es roch nach leeren Bierflaschen, und wenn man es anfaßte, hinterließen die Finger keine Beulen in der Rinde.
    Die Luft in der Küche war mittlerweile von der gebräunten Mortadella geschwängert, die sich an den Rändern aufrollte und eine kleine Schüssel mit einer Butterpfütze in der Mitte bildete. Ich merkte, wie mir von der Reizüberflutung schwindlig wurde. Ich sagte: »Ich gebe Ihnen vierhundert Dollar, wenn Sie mir auch eines machen.«
    Chester warf mir einen scharfen Blick zu und lächelte zum ersten Mal. »Auf getoastetem Brot?«
    »Sie sind der Koch. Sie bestimmen«, antwortete ich.
    Während wir uns vollstopften, beschloß ich, nebenbei gleich meine Neugier zu stillen. »Was arbeiten Sie in Columbus?«
    Er schnappte nach dem letzten Bissen seines Sandwichs wie ein halbverhungerter Hund und wischte sich den Mund an einer Papierserviette ab, bevor er antwortete. »Ich hab’ ‘ne kleine Druckerei in Bexley. Offset und Hochdruck. Kaltsatz und Hartbleisatz. Prospekte, Reklamezettel, Visitenkarten, bedrucktes Briefpapier. Ich kann zusammentragen, falzen, binden und heften. Was immer Sie wollen. Ich habe erst vor kurzem einen Knaben eingestellt, der sich um die Firma kümmert, solange ich nicht da bin. Wenn er sich bewährt, lasse ich mich von ihm auszahlen. Zeit, daß ich etwas anderes mache. Ich bin zu jung, um in Rente zu gehen, aber ich habe es satt, mir meinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen.«
    »Was würden Sie tun — hierherziehen?«
    Chester zündete sich eine Zigarette an, eine Camel ohne Filter, die wie brennendes Heu roch. »Weiß ich noch nicht. Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen, bin aber weggegangen, sowie ich achtzehn wurde. Pappy ist 1945 hierhergekommen und hat gleich das Haus gekauft. Er hat immer gesagt, er würde in diesem Haus bleiben, bis ihn der Sheriff oder der Leichenbestatter an den Füßen herauszerrten. Er und ich sind nie miteinander ausgekommen. Er war grob wie ein Schmied, und Kindesmißhandlung wäre gar kein Ausdruck. Davon hat damals kein Mensch gesprochen. Ich kenne eine Menge Leute, die seinerzeit andauernd verprügelt worden sind. Das haben Väter eben gemacht. Sie kamen aus der Fabrik nach Hause, kippten ein paar Biere und packten das erste Kind, das ihnen über den Weg lief. Ich bin gestoßen, getreten und gegen die Wand geknallt und mit jedem erdenklichen Schimpfwort belegt worden. Wenn ich Ärger machte, ließ er mich auf- und abmarschieren, bis ich zusammenbrach, und wenn ich ein Wort des Protests

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