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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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in seine Jackentasche. Ich entfernte mich von der Tür, als er auf mich zukam.
    Hinter mir stand eine Reihe Münztelefone. Teils zur Tarnung und teils aus Verzweiflung drehte ich mich zu dem ersten Telefon um und wuchtete das Telefonbuch nach oben, das an das metallene Bord darunter angekettet war. Ich suchte hastig nach Buckys Nummer, während der Kerl hinter mir aus dem Laden herauskam. Von der Seite beobachtete ich ihn, wie er die Halle durchquerte und sich zu der Frau gesellte, die jetzt mit dem Rücken zu mir am Ticketschalter stand, den Matchsack zu ihren Füßen. Woher war sie gekommen? Vermutlich von der Damentoilette. Sie hatte ihren Regenmantel ausgezogen, der ihr nun zusammengefaltet über den Arm hing. Der Passagier vor ihr hatte seine Angelegenheiten erledigt, und sie ging an den Schalter, wo sie einen großen, weichen Koffer auf die Waage stellte. Sie streckte einen Fuß nach hinten und schob den Matchsack vorwärts, bis er neben ihr am Schalter lehnte.
    Die Schalterangestellte begrüßte sie, und die beiden wechselten ein paar Worte. Während die Angestellte auf ihrer Computertastatur herumtippte, griff die Frau an ihr vorbei und nahm sich aus einem Behälter auf der Theke einen kartonierten Gepäckanhänger. Sie füllte ihn aus und reichte ihn dann der Schalterangestellten, die gerade dabei war, das Ticket auszustellen. Die Frau legte ein Bündel Geldscheine hin, die die Angestellte zählte und verstaute. Sie brachte den Gepäckanhänger sowie einen Abholaufkleber am Koffer der Frau an und legte ihn dann auf das Förderband. Das fahrende Gepäckstück wurde durch eine kleine Öffnung weggeschafft wie ein Sarg auf dem Weg in die Flammen. Die beiden brachten ihre Transaktion zum Abschluß, und die Schalterdame reichte der Frau den Umschlag mit den Tickets über die Theke.
    Als die Frau sich zu ihrem Begleiter umdrehte, konnte ich erkennen, daß sie im sechsten oder siebten Monat schwanger war. War sie seine Tochter? Sie war wesentlich jünger als der Mann neben ihr: Anfang bis Mitte Dreißig, mit grell kastanienrotem Haar, das sie oben zu einem wirren Knoten aufgetürmt trug. Ihr Teint besaß die käsige Färbung von zuviel Make-up, das mit einem Hauch Puder überstäubt war, wodurch ihr Gesicht leicht schmutzig wirkte. Ihre Umstandskluft war eines dieser übergroßen blaßblauen Jeanskleider mit kurzen Ärmeln und einer tief angesetzten Taille, unter der sich ihr Bauch abzeichnete. Unter dem Kleid hatte sie ein riesiges weißes T-Shirt mit langen Ärmeln an. Dazu trug sie rot-weiß gestreifte Strümpfe und rote Tennisschuhe mit hohem Schaft. Das Kleid hatte ich schon einmal in einem Gartenartikelkatalog gesehen. Dieser Stil war beliebt bei ehemaligen Hippies, die Drogen und Gruppensex gegen organisches Gemüse und Kleidung aus Naturfasern eingetauscht hatten.
    Der Typ nahm den Matchsack, und die beiden schritten beiseite, als der nächste Passagier aus der Reihe an den Schalter trat. Er stellte den Matchsack wieder ab, und sie blieben auf der Seite stehen und machten einsilbige Bemerkungen. Die beiden würden gleich ein Flugzeug besteigen, und was sollte ich nun tun? Eine vorläufige Festnahme als Privatperson vorzunehmen, erschien mir reichlich heikel. Ich konnte nicht einmal beschwören, daß eine Straftat begangen worden war. Aber andererseits — was hatte dieser Typ sonst in Johnny Lees Wohnung zu suchen? Ich war lange genug bei der Polizei gewesen, um einen Riecher für solche Dinge zu haben. Allem Anschein nach sollte der Matchsack aus dem Bundesstaat gebracht werden. Ich hatte keine Ahnung, ob das Pärchen vorhatte, nach Santa Teresa zurückzukehren, oder eine gesetzwidrige Flucht plante.
    Ich wandte mich wieder dem Telefonbuch zu, blätterte aufgeregt durch die Seiten und sprach mit mir selbst. Komm schon, komm schon. Lawrence. Laymon. Ich fuhr mit dem Finger die Spalten entlang. Leason. Leatherman. Leber. Aha. Fünfzehn Eintragungen unter Lee, aber nur einer in der Bay Street. Bucyrus Lee. Bucky hieß Bucyrus? Ich fand einen Vierteldollar in meiner Jackentasche, warf ihn in den Schlitz und wählte die Nummer. Der Hörer wurde beim zweiten Klingeln abgenommen. »Hallo, Bucky?«
    »Hier ist Chester. Wer spricht?«
    »Kinsey...«
    »Scheiße. Sie kommen besser gleich her. Hier ist der Teufel los.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Wir sind von Rosie’s zurückgekommen und haben Ray Rawson gefunden, wie er die Einfahrt entlangkroch. Das Gesicht voller Blut und die Hand auf die Größe eines

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